Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Mode, daß die Aufseher den Ankommenden
Mährchen wie Religion vorschwatzten; und der
Geschichtschreiber hat in der Eile viel unglaub-
lichre Fabeln sich aufbinden lassen, wenn er bey
seiner Lebensart noch nicht recht ausgeschlafen
hatte. Inzwischen will ich dem wackern Manne
hier nicht zu Leibe gehn; er sagt sonst Dinge mit
göttlichem Verstand, und zuweilen erhabne Poe-
sie. Sein Werk ist wahrscheinlich der erste Zu-
sammenraff des ungeheuern Ganzen, und die
Wolkenbrüche von Feuerasche aus dem Vesuv
erstickten ihn, bevor er nur die zweyte Hand dar-
an legte.

Es ist wohl eine zu handgreifliche moralische
Unmöglichkeit, daß ein Künstler, der so hätte
arbeiten können, einige der kräftigsten Jahre sei-
nes Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern
Zweck sollte verschwendet haben; und daß die
Kopie, gerade wo das Original stand, durch ein
Wunder vom Himmel gefallen, und das Origi-

nal

Mode, daß die Aufſeher den Ankommenden
Maͤhrchen wie Religion vorſchwatzten; und der
Geſchichtſchreiber hat in der Eile viel unglaub-
lichre Fabeln ſich aufbinden laſſen, wenn er bey
ſeiner Lebensart noch nicht recht ausgeſchlafen
hatte. Inzwiſchen will ich dem wackern Manne
hier nicht zu Leibe gehn; er ſagt ſonſt Dinge mit
goͤttlichem Verſtand, und zuweilen erhabne Poe-
ſie. Sein Werk iſt wahrſcheinlich der erſte Zu-
ſammenraff des ungeheuern Ganzen, und die
Wolkenbruͤche von Feueraſche aus dem Veſuv
erſtickten ihn, bevor er nur die zweyte Hand dar-
an legte.

Es iſt wohl eine zu handgreifliche moraliſche
Unmoͤglichkeit, daß ein Kuͤnſtler, der ſo haͤtte
arbeiten koͤnnen, einige der kraͤftigſten Jahre ſei-
nes Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern
Zweck ſollte verſchwendet haben; und daß die
Kopie, gerade wo das Original ſtand, durch ein
Wunder vom Himmel gefallen, und das Origi-

nal
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="77"/>
Mode, daß die Auf&#x017F;eher den Ankommenden<lb/>
Ma&#x0364;hrchen wie Religion vor&#x017F;chwatzten; und der<lb/>
Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber hat in der Eile viel unglaub-<lb/>
lichre Fabeln &#x017F;ich aufbinden la&#x017F;&#x017F;en, wenn er bey<lb/>
&#x017F;einer Lebensart noch nicht recht ausge&#x017F;chlafen<lb/>
hatte. Inzwi&#x017F;chen will ich dem wackern Manne<lb/>
hier nicht zu Leibe gehn; er &#x017F;agt &#x017F;on&#x017F;t Dinge mit<lb/>
go&#x0364;ttlichem Ver&#x017F;tand, und zuweilen erhabne Poe-<lb/>
&#x017F;ie. Sein Werk i&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich der er&#x017F;te Zu-<lb/>
&#x017F;ammenraff des ungeheuern Ganzen, und die<lb/>
Wolkenbru&#x0364;che von Feuera&#x017F;che aus dem Ve&#x017F;uv<lb/>
er&#x017F;tickten ihn, bevor er nur die zweyte Hand dar-<lb/>
an legte.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t wohl eine zu handgreifliche morali&#x017F;che<lb/>
Unmo&#x0364;glichkeit, daß ein Ku&#x0364;n&#x017F;tler, der &#x017F;o ha&#x0364;tte<lb/>
arbeiten ko&#x0364;nnen, einige der kra&#x0364;ftig&#x017F;ten Jahre &#x017F;ei-<lb/>
nes Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern<lb/>
Zweck &#x017F;ollte ver&#x017F;chwendet haben; und daß die<lb/>
Kopie, gerade wo das Original &#x017F;tand, durch ein<lb/>
Wunder vom Himmel gefallen, und das Origi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nal</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0085] Mode, daß die Aufſeher den Ankommenden Maͤhrchen wie Religion vorſchwatzten; und der Geſchichtſchreiber hat in der Eile viel unglaub- lichre Fabeln ſich aufbinden laſſen, wenn er bey ſeiner Lebensart noch nicht recht ausgeſchlafen hatte. Inzwiſchen will ich dem wackern Manne hier nicht zu Leibe gehn; er ſagt ſonſt Dinge mit goͤttlichem Verſtand, und zuweilen erhabne Poe- ſie. Sein Werk iſt wahrſcheinlich der erſte Zu- ſammenraff des ungeheuern Ganzen, und die Wolkenbruͤche von Feueraſche aus dem Veſuv erſtickten ihn, bevor er nur die zweyte Hand dar- an legte. Es iſt wohl eine zu handgreifliche moraliſche Unmoͤglichkeit, daß ein Kuͤnſtler, der ſo haͤtte arbeiten koͤnnen, einige der kraͤftigſten Jahre ſei- nes Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern Zweck ſollte verſchwendet haben; und daß die Kopie, gerade wo das Original ſtand, durch ein Wunder vom Himmel gefallen, und das Origi- nal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/85
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/85>, abgerufen am 21.11.2024.