nießen, und von allem Vollkommnen genossen zu werden, ohne auf demselben Flecke kleben zu bleiben. So bald etwas ganz genossen ist, weg davon! Dieß ist das allgemeinste Gesetz der Natur, wodurch sie sich ewig lebendig und un- sterblich erhält."
Ich erschrack und erstaunte über diesen Pin- darischen Schwung; so weit hatt ich meine Phi- losophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom? es bleibt gewiß in jeder Rücksicht die Hauptstadt der Welt. Ich sah sie an, wie ein junges Arabisches Roß, das nie Zügel und Gebiß erfahren, mit flatternden Mähnen durch die Fluren schweift und mit üppiger Kraft über alle Hecken und Gräben setzt.
Sie lächelte über meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kühnen Adlerblick, faßte mich zärtlich bey der Hand, und fuhr fort:
"Wenn man mit euch Weisen spricht: so muß man wie Zeno und Plato reden, und sich
dem
nießen, und von allem Vollkommnen genoſſen zu werden, ohne auf demſelben Flecke kleben zu bleiben. So bald etwas ganz genoſſen iſt, weg davon! Dieß iſt das allgemeinſte Geſetz der Natur, wodurch ſie ſich ewig lebendig und un- ſterblich erhaͤlt.“
Ich erſchrack und erſtaunte uͤber dieſen Pin- dariſchen Schwung; ſo weit hatt ich meine Phi- loſophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom? es bleibt gewiß in jeder Ruͤckſicht die Hauptſtadt der Welt. Ich ſah ſie an, wie ein junges Arabiſches Roß, das nie Zuͤgel und Gebiß erfahren, mit flatternden Maͤhnen durch die Fluren ſchweift und mit uͤppiger Kraft uͤber alle Hecken und Graͤben ſetzt.
Sie laͤchelte uͤber meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kuͤhnen Adlerblick, faßte mich zaͤrtlich bey der Hand, und fuhr fort:
„Wenn man mit euch Weiſen ſpricht: ſo muß man wie Zeno und Plato reden, und ſich
dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0060"n="52"/>
nießen, und von allem <choice><sic>vollkommen</sic><corrtype="corrigenda">Vollkommnen</corr></choice> genoſſen<lb/>
zu werden, ohne auf demſelben Flecke kleben zu<lb/>
bleiben. So bald etwas ganz genoſſen iſt, weg<lb/>
davon! Dieß iſt das allgemeinſte Geſetz der<lb/>
Natur, wodurch ſie ſich ewig lebendig und un-<lb/>ſterblich erhaͤlt.“</p><lb/><p>Ich erſchrack und erſtaunte uͤber dieſen Pin-<lb/>
dariſchen Schwung; ſo weit hatt ich meine Phi-<lb/>
loſophie noch nicht getrieben. Was lernt man<lb/>
nicht in Rom? es bleibt gewiß in jeder Ruͤckſicht<lb/>
die Hauptſtadt der Welt. Ich ſah ſie an, wie<lb/>
ein junges Arabiſches Roß, das nie Zuͤgel und<lb/>
Gebiß erfahren, mit flatternden Maͤhnen durch<lb/>
die Fluren ſchweift und mit uͤppiger Kraft uͤber<lb/>
alle Hecken und Graͤben ſetzt.</p><lb/><p>Sie laͤchelte uͤber meine Verwunderung,<lb/>
milderte ihren feurigen kuͤhnen Adlerblick, faßte<lb/>
mich zaͤrtlich bey der Hand, und fuhr fort:</p><lb/><p>„Wenn man mit euch Weiſen ſpricht: ſo<lb/>
muß man wie Zeno und Plato reden, und ſich<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dem</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[52/0060]
nießen, und von allem Vollkommnen genoſſen
zu werden, ohne auf demſelben Flecke kleben zu
bleiben. So bald etwas ganz genoſſen iſt, weg
davon! Dieß iſt das allgemeinſte Geſetz der
Natur, wodurch ſie ſich ewig lebendig und un-
ſterblich erhaͤlt.“
Ich erſchrack und erſtaunte uͤber dieſen Pin-
dariſchen Schwung; ſo weit hatt ich meine Phi-
loſophie noch nicht getrieben. Was lernt man
nicht in Rom? es bleibt gewiß in jeder Ruͤckſicht
die Hauptſtadt der Welt. Ich ſah ſie an, wie
ein junges Arabiſches Roß, das nie Zuͤgel und
Gebiß erfahren, mit flatternden Maͤhnen durch
die Fluren ſchweift und mit uͤppiger Kraft uͤber
alle Hecken und Graͤben ſetzt.
Sie laͤchelte uͤber meine Verwunderung,
milderte ihren feurigen kuͤhnen Adlerblick, faßte
mich zaͤrtlich bey der Hand, und fuhr fort:
„Wenn man mit euch Weiſen ſpricht: ſo
muß man wie Zeno und Plato reden, und ſich
dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/60>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.