alle Wände voll gepinselt, um ihn zur Erlösung zu bewegen.
Raphael hat durch diesen Druck äußerst wenig und vielleicht nichts gemacht, wo sein ganzes Wesen mit allen seinen Gefühlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel ge- kommen wäre, wo die Sonne seines himm- lischen Genius ganz auf einen Brennpunkt ge- zündet hätte.
Es ist zwar wahr, aus der freysten oder schlüpfrigsten Scene der Welt kann der Künst- ler eine Gestalt in das frömmste Gemählde übertragen; allein es geschieht doch allemal mit Zwang, der, anstatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geschichte oder Fabel die Phantasie erhöbe und begeisterte, die eigentlich lebendigen Züge verwirrt und verunstaltet, so daß sie ihre beste Kraft verlieren. Wie würden Raphaels Weiber, zum Exempel, dieselben Gestalten zu seinem Kindermorde, zu seinen vortreflichen
Sy-
alle Waͤnde voll gepinſelt, um ihn zur Erloͤſung zu bewegen.
Raphael hat durch dieſen Druck aͤußerſt wenig und vielleicht nichts gemacht, wo ſein ganzes Weſen mit allen ſeinen Gefuͤhlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel ge- kommen waͤre, wo die Sonne ſeines himm- liſchen Genius ganz auf einen Brennpunkt ge- zuͤndet haͤtte.
Es iſt zwar wahr, aus der freyſten oder ſchluͤpfrigſten Scene der Welt kann der Kuͤnſt- ler eine Geſtalt in das froͤmmſte Gemaͤhlde uͤbertragen; allein es geſchieht doch allemal mit Zwang, der, anſtatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geſchichte oder Fabel die Phantaſie erhoͤbe und begeiſterte, die eigentlich lebendigen Zuͤge verwirrt und verunſtaltet, ſo daß ſie ihre beſte Kraft verlieren. Wie wuͤrden Raphaels Weiber, zum Exempel, dieſelben Geſtalten zu ſeinem Kindermorde, zu ſeinen vortreflichen
Sy-
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[40/0048]
alle Waͤnde voll gepinſelt, um ihn zur Erloͤſung
zu bewegen.
Raphael hat durch dieſen Druck aͤußerſt
wenig und vielleicht nichts gemacht, wo ſein
ganzes Weſen mit allen ſeinen Gefuͤhlen und
Neigungen und Erfahrungen ins Spiel ge-
kommen waͤre, wo die Sonne ſeines himm-
liſchen Genius ganz auf einen Brennpunkt ge-
zuͤndet haͤtte.
Es iſt zwar wahr, aus der freyſten oder
ſchluͤpfrigſten Scene der Welt kann der Kuͤnſt-
ler eine Geſtalt in das froͤmmſte Gemaͤhlde
uͤbertragen; allein es geſchieht doch allemal mit
Zwang, der, anſtatt daß eine Begebenheit aus
der profanen Geſchichte oder Fabel die Phantaſie
erhoͤbe und begeiſterte, die eigentlich lebendigen
Zuͤge verwirrt und verunſtaltet, ſo daß ſie ihre
beſte Kraft verlieren. Wie wuͤrden Raphaels
Weiber, zum Exempel, dieſelben Geſtalten zu
ſeinem Kindermorde, zu ſeinen vortreflichen
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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