Spur von seines Lehrmeisters enger und schmaler Manier ist hier verschwunden. Die zwölf Apo- stel stehen um den Sarg, statt der Madonna mit Blumen, Rosen, Lilien, Nelken und Schaß- minen angefüllt, und blicken erstaunt auf, wo ihr Sohn sie von Wolken emporgetragen mit En- geln empfängt und krönt.
Die Mutter ist eine der frischesten weibli- chen Gestalten, noch blühend wie eine Jung- frau, doch voll edlem Ernst, wie eine Matrone, und heißer wunderbarer Empfindungen der See- ligkeit, im Taumel neuer Gefühle, wie vom Erwachen, alles groß an ihr und herrlich schön. Sie faltet die Hände kreuzweis an die Brüste und blickt durchaus gerührt mit entzücktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Gesicht ist nach ihm hin- gewandt, und man sieht ganz die rechte Seite, und vom linken Auge nur den heißen Blick; große schwarze Augen mit einem zarten Bogen Augenbrane, und dunkelblondes Haar unter
dem
Spur von ſeines Lehrmeiſters enger und ſchmaler Manier iſt hier verſchwunden. Die zwoͤlf Apo- ſtel ſtehen um den Sarg, ſtatt der Madonna mit Blumen, Roſen, Lilien, Nelken und Schaß- minen angefuͤllt, und blicken erſtaunt auf, wo ihr Sohn ſie von Wolken emporgetragen mit En- geln empfaͤngt und kroͤnt.
Die Mutter iſt eine der friſcheſten weibli- chen Geſtalten, noch bluͤhend wie eine Jung- frau, doch voll edlem Ernſt, wie eine Matrone, und heißer wunderbarer Empfindungen der See- ligkeit, im Taumel neuer Gefuͤhle, wie vom Erwachen, alles groß an ihr und herrlich ſchoͤn. Sie faltet die Haͤnde kreuzweis an die Bruͤſte und blickt durchaus geruͤhrt mit entzuͤcktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Geſicht iſt nach ihm hin- gewandt, und man ſieht ganz die rechte Seite, und vom linken Auge nur den heißen Blick; große ſchwarze Augen mit einem zarten Bogen Augenbrane, und dunkelblondes Haar unter
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Spur von ſeines Lehrmeiſters enger und ſchmaler
Manier iſt hier verſchwunden. Die zwoͤlf Apo-
ſtel ſtehen um den Sarg, ſtatt der Madonna
mit Blumen, Roſen, Lilien, Nelken und Schaß-
minen angefuͤllt, und blicken erſtaunt auf, wo
ihr Sohn ſie von Wolken emporgetragen mit En-
geln empfaͤngt und kroͤnt.
Die Mutter iſt eine der friſcheſten weibli-
chen Geſtalten, noch bluͤhend wie eine Jung-
frau, doch voll edlem Ernſt, wie eine Matrone,
und heißer wunderbarer Empfindungen der See-
ligkeit, im Taumel neuer Gefuͤhle, wie vom
Erwachen, alles groß an ihr und herrlich ſchoͤn.
Sie faltet die Haͤnde kreuzweis an die Bruͤſte
und blickt durchaus geruͤhrt mit entzuͤcktem Aug
auf ihren Sohn. Ihr Geſicht iſt nach ihm hin-
gewandt, und man ſieht ganz die rechte Seite,
und vom linken Auge nur den heißen Blick;
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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