Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Umarmung. O sie liebt mich, groß und edel!
erhabnes Wesen!

Ich befinde mich hier in einer Wasserwelt;
die Fluthen rauschen, und Ströme stürzen sich
mit donnerndem Gebrüll von den Gebirgen:
und doch ist mein Sinn nur wie im Taumel ge-
genwärtig. Das Wetter ist außerordentlich lau
und warm für die Jahrszeit; aller Schnee auf
dem Apennin schmilzt. Die Nera ist mächtig
angeschwollen, und der königliche Velino reißt
sich wie eine Sündfluth aus seinem See schräg
übers Gebirg herab, setzt alle Gärten und Felder
der Terner in Ueberschwemmung, und verheert
sie mit seinem Schutte.

Rührend ist bey dem fürchterlichen Schau-
spiel, wie die hülflosen Menschen so gut und
freundlich und gesellig gegen einander bey der all-
gemeinen Noth werden, und jeder erkennt, wie
wenig er für sich selbst vermag.

Im

Umarmung. O ſie liebt mich, groß und edel!
erhabnes Weſen!

Ich befinde mich hier in einer Waſſerwelt;
die Fluthen rauſchen, und Stroͤme ſtuͤrzen ſich
mit donnerndem Gebruͤll von den Gebirgen:
und doch iſt mein Sinn nur wie im Taumel ge-
genwaͤrtig. Das Wetter iſt außerordentlich lau
und warm fuͤr die Jahrszeit; aller Schnee auf
dem Apennin ſchmilzt. Die Nera iſt maͤchtig
angeſchwollen, und der koͤnigliche Velino reißt
ſich wie eine Suͤndfluth aus ſeinem See ſchraͤg
uͤbers Gebirg herab, ſetzt alle Gaͤrten und Felder
der Terner in Ueberſchwemmung, und verheert
ſie mit ſeinem Schutte.

Ruͤhrend iſt bey dem fuͤrchterlichen Schau-
ſpiel, wie die huͤlfloſen Menſchen ſo gut und
freundlich und geſellig gegen einander bey der all-
gemeinen Noth werden, und jeder erkennt, wie
wenig er fuͤr ſich ſelbſt vermag.

Im
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="252"/>
Umarmung. O &#x017F;ie liebt mich, groß und edel!<lb/>
erhabnes We&#x017F;en!</p><lb/>
          <p>Ich befinde mich hier in einer Wa&#x017F;&#x017F;erwelt;<lb/>
die Fluthen rau&#x017F;chen, und Stro&#x0364;me &#x017F;tu&#x0364;rzen &#x017F;ich<lb/>
mit donnerndem Gebru&#x0364;ll von den Gebirgen:<lb/>
und doch i&#x017F;t mein Sinn nur wie im Taumel ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtig. Das Wetter i&#x017F;t außerordentlich lau<lb/>
und warm fu&#x0364;r die Jahrszeit; aller Schnee auf<lb/>
dem Apennin &#x017F;chmilzt. Die <hi rendition="#fr">Nera</hi> i&#x017F;t ma&#x0364;chtig<lb/>
ange&#x017F;chwollen, und der ko&#x0364;nigliche <hi rendition="#fr">Velino</hi> reißt<lb/>
&#x017F;ich wie eine Su&#x0364;ndfluth aus &#x017F;einem See &#x017F;chra&#x0364;g<lb/>
u&#x0364;bers Gebirg herab, &#x017F;etzt alle Ga&#x0364;rten und Felder<lb/>
der Terner in Ueber&#x017F;chwemmung, und verheert<lb/>
&#x017F;ie mit &#x017F;einem Schutte.</p><lb/>
          <p>Ru&#x0364;hrend i&#x017F;t bey dem fu&#x0364;rchterlichen Schau-<lb/>
&#x017F;piel, wie die hu&#x0364;lflo&#x017F;en Men&#x017F;chen &#x017F;o gut und<lb/>
freundlich und ge&#x017F;ellig gegen einander bey der all-<lb/>
gemeinen Noth werden, und jeder erkennt, wie<lb/>
wenig er fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vermag.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Im</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0260] Umarmung. O ſie liebt mich, groß und edel! erhabnes Weſen! Ich befinde mich hier in einer Waſſerwelt; die Fluthen rauſchen, und Stroͤme ſtuͤrzen ſich mit donnerndem Gebruͤll von den Gebirgen: und doch iſt mein Sinn nur wie im Taumel ge- genwaͤrtig. Das Wetter iſt außerordentlich lau und warm fuͤr die Jahrszeit; aller Schnee auf dem Apennin ſchmilzt. Die Nera iſt maͤchtig angeſchwollen, und der koͤnigliche Velino reißt ſich wie eine Suͤndfluth aus ſeinem See ſchraͤg uͤbers Gebirg herab, ſetzt alle Gaͤrten und Felder der Terner in Ueberſchwemmung, und verheert ſie mit ſeinem Schutte. Ruͤhrend iſt bey dem fuͤrchterlichen Schau- ſpiel, wie die huͤlfloſen Menſchen ſo gut und freundlich und geſellig gegen einander bey der all- gemeinen Noth werden, und jeder erkennt, wie wenig er fuͤr ſich ſelbſt vermag. Im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/260
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/260>, abgerufen am 21.11.2024.