Aus diesem haben die Griechen ihre reizen- den Dichtungen und schönen Göttergestalten ge- schöpft; und die erhabensten Philosophen dieser gefühlvollen Nazion, wie selbst Aristoteles und Plato, konnten sich davon nicht losmachen. Wenn ein großer Haufe zusammen glaubt, kann er leicht einen guten Mann überwältigen! Durch Lesung ihrer Meisterstücke von Poesie und Be- redtsamkeit, und bezaubernden sinnlichen Vor- stellungen, wissen wir aus unserm eignen Glau- ben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren Nektar rein und unverfälscht von der athletisch schönen Ursprache gekostet hat, kann sich schwer- lich in anderm Getränke berauschen. Die Namen ihrer Gottheiten ertönen noch immer von den Lip- pen der Edlern des aufgeklärten Europa, und er- heitern die Gesichter der Zuhörenden, auch ver- hunzt und entstellt.
Gesetzt noch das allerausschweiffendste und letzte, es gäbe gar kein Universalwesen, die Welt
be-
Aus dieſem haben die Griechen ihre reizen- den Dichtungen und ſchoͤnen Goͤttergeſtalten ge- ſchoͤpft; und die erhabenſten Philoſophen dieſer gefuͤhlvollen Nazion, wie ſelbſt Ariſtoteles und Plato, konnten ſich davon nicht losmachen. Wenn ein großer Haufe zuſammen glaubt, kann er leicht einen guten Mann uͤberwaͤltigen! Durch Leſung ihrer Meiſterſtuͤcke von Poeſie und Be- redtſamkeit, und bezaubernden ſinnlichen Vor- ſtellungen, wiſſen wir aus unſerm eignen Glau- ben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren Nektar rein und unverfaͤlſcht von der athletiſch ſchoͤnen Urſprache gekoſtet hat, kann ſich ſchwer- lich in anderm Getraͤnke berauſchen. Die Namen ihrer Gottheiten ertoͤnen noch immer von den Lip- pen der Edlern des aufgeklaͤrten Europa, und er- heitern die Geſichter der Zuhoͤrenden, auch ver- hunzt und entſtellt.
Geſetzt noch das allerausſchweiffendſte und letzte, es gaͤbe gar kein Univerſalweſen, die Welt
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Aus dieſem haben die Griechen ihre reizen-
den Dichtungen und ſchoͤnen Goͤttergeſtalten ge-
ſchoͤpft; und die erhabenſten Philoſophen dieſer
gefuͤhlvollen Nazion, wie ſelbſt Ariſtoteles und
Plato, konnten ſich davon nicht losmachen.
Wenn ein großer Haufe zuſammen glaubt, kann
er leicht einen guten Mann uͤberwaͤltigen! Durch
Leſung ihrer Meiſterſtuͤcke von Poeſie und Be-
redtſamkeit, und bezaubernden ſinnlichen Vor-
ſtellungen, wiſſen wir aus unſerm eignen Glau-
ben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren
Nektar rein und unverfaͤlſcht von der athletiſch
ſchoͤnen Urſprache gekoſtet hat, kann ſich ſchwer-
lich in anderm Getraͤnke berauſchen. Die Namen
ihrer Gottheiten ertoͤnen noch immer von den Lip-
pen der Edlern des aufgeklaͤrten Europa, und er-
heitern die Geſichter der Zuhoͤrenden, auch ver-
hunzt und entſtellt.
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/242>, abgerufen am 19.05.2024.
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