Unser Gehirn scheint der hohe Rath der Republik zu seyn, sich augenblicklich zu bewegen, und die neuen Erscheinungen und Gefühle der Sinnen aufzunehmen, und darnach für das kleine Ganze zu sorgen.
Wer hat die Elemente so untersucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuschreiben will? Warum sollten nicht alle mehr oder min- der dazu fähig seyn, und die ganze Natur leben, denken, und empfinden?
Der Mensch macht ein Ganzes aus, und es ist alte Pedanterey, denselben nur in zwey ganz entgegengesetzte verschiedne Hälften zu thei- len, wie man hernach bey allen Thieren und der kleinsten Mücke thun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiserne tyrannische Herr- schaft, bis auf die sich freywähnendsten philoso- phischen Häupter, die davon nichts träumen.
Ardinghello. Auf einen Hieb fällt kein Baum: geschweige eine Zeder, die so viele Jahr-
hun-
Unſer Gehirn ſcheint der hohe Rath der Republik zu ſeyn, ſich augenblicklich zu bewegen, und die neuen Erſcheinungen und Gefuͤhle der Sinnen aufzunehmen, und darnach fuͤr das kleine Ganze zu ſorgen.
Wer hat die Elemente ſo unterſucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuſchreiben will? Warum ſollten nicht alle mehr oder min- der dazu faͤhig ſeyn, und die ganze Natur leben, denken, und empfinden?
Der Menſch macht ein Ganzes aus, und es iſt alte Pedanterey, denſelben nur in zwey ganz entgegengeſetzte verſchiedne Haͤlften zu thei- len, wie man hernach bey allen Thieren und der kleinſten Muͤcke thun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiſerne tyranniſche Herr- ſchaft, bis auf die ſich freywaͤhnendſten philoſo- phiſchen Haͤupter, die davon nichts traͤumen.
Ardinghello. Auf einen Hieb faͤllt kein Baum: geſchweige eine Zeder, die ſo viele Jahr-
hun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0166"n="158"/>
Unſer Gehirn ſcheint der hohe Rath der Republik<lb/>
zu ſeyn, ſich augenblicklich zu bewegen, und die<lb/>
neuen Erſcheinungen und Gefuͤhle der Sinnen<lb/>
aufzunehmen, und darnach fuͤr das kleine Ganze<lb/>
zu ſorgen.</p><lb/><p>Wer hat die Elemente ſo unterſucht, daß er<lb/>
einem allein das Leben und Denken zuſchreiben<lb/>
will? Warum ſollten nicht alle mehr oder min-<lb/>
der dazu faͤhig ſeyn, und die ganze Natur leben,<lb/>
denken, und empfinden?</p><lb/><p>Der Menſch macht ein Ganzes aus, und<lb/>
es iſt alte Pedanterey, denſelben nur in zwey<lb/>
ganz entgegengeſetzte verſchiedne Haͤlften zu thei-<lb/>
len, wie man hernach bey allen Thieren und der<lb/>
kleinſten Muͤcke thun muß. Aber Gewohnheit<lb/>
zwingt alles unter ihre eiſerne tyranniſche Herr-<lb/>ſchaft, bis auf die ſich freywaͤhnendſten philoſo-<lb/>
phiſchen Haͤupter, die davon nichts traͤumen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ardinghello</hi>. Auf einen Hieb faͤllt kein<lb/>
Baum: geſchweige eine Zeder, die ſo viele Jahr-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">hun-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[158/0166]
Unſer Gehirn ſcheint der hohe Rath der Republik
zu ſeyn, ſich augenblicklich zu bewegen, und die
neuen Erſcheinungen und Gefuͤhle der Sinnen
aufzunehmen, und darnach fuͤr das kleine Ganze
zu ſorgen.
Wer hat die Elemente ſo unterſucht, daß er
einem allein das Leben und Denken zuſchreiben
will? Warum ſollten nicht alle mehr oder min-
der dazu faͤhig ſeyn, und die ganze Natur leben,
denken, und empfinden?
Der Menſch macht ein Ganzes aus, und
es iſt alte Pedanterey, denſelben nur in zwey
ganz entgegengeſetzte verſchiedne Haͤlften zu thei-
len, wie man hernach bey allen Thieren und der
kleinſten Muͤcke thun muß. Aber Gewohnheit
zwingt alles unter ihre eiſerne tyranniſche Herr-
ſchaft, bis auf die ſich freywaͤhnendſten philoſo-
phiſchen Haͤupter, die davon nichts traͤumen.
Ardinghello. Auf einen Hieb faͤllt kein
Baum: geſchweige eine Zeder, die ſo viele Jahr-
hun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/166>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.