so leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getüm- mels, und thu, als ob du von mir nichts wüß- test: und du bist sicher. Ueber mich waltet die Vorsicht: sonst wär ich dem Tod nicht entgangen, und sie hätte mir meinen Pfad nicht gezeigt."
"O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergessen? Wie kannst du vergessen meine Seeligkeit und mein Leiden?" fiel sie ihm mit Thränen an seine hochklopfende Brust; fuhr aber bald hastig auf und ergriff ihn, zurückstoßend, klammernd bey der Hand: "fort von hier, über Berg und Thal, laß mich! O hätt ich dich nie gesehen, o ich Unglückselige! Ich beschwöre dich bey aller unsrer Wonne, bey deiner und meiner Liebe, stürzte sie sich ihm zu Füßen, und umwand seine Knie: überwältige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verschiebe wenig- stens die Rache! Mich fesselt das grausame Schik-
sal
ſo leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getuͤm- mels, und thu, als ob du von mir nichts wuͤß- teſt: und du biſt ſicher. Ueber mich waltet die Vorſicht: ſonſt waͤr ich dem Tod nicht entgangen, und ſie haͤtte mir meinen Pfad nicht gezeigt.“
„O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergeſſen? Wie kannſt du vergeſſen meine Seeligkeit und mein Leiden?„ fiel ſie ihm mit Thraͤnen an ſeine hochklopfende Bruſt; fuhr aber bald haſtig auf und ergriff ihn, zuruͤckſtoßend, klammernd bey der Hand: „fort von hier, uͤber Berg und Thal, laß mich! O haͤtt ich dich nie geſehen, o ich Ungluͤckſelige! Ich beſchwoͤre dich bey aller unſrer Wonne, bey deiner und meiner Liebe, ſtuͤrzte ſie ſich ihm zu Fuͤßen, und umwand ſeine Knie: uͤberwaͤltige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verſchiebe wenig- ſtens die Rache! Mich feſſelt das grauſame Schik-
ſal
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ſo leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage
mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getuͤm-
mels, und thu, als ob du von mir nichts wuͤß-
teſt: und du biſt ſicher. Ueber mich waltet die
Vorſicht: ſonſt waͤr ich dem Tod nicht entgangen,
und ſie haͤtte mir meinen Pfad nicht gezeigt.“
„O wie kann ich dich, Geliebter, einen
Augenblick vergeſſen? Wie kannſt du vergeſſen
meine Seeligkeit und mein Leiden?„ fiel ſie ihm
mit Thraͤnen an ſeine hochklopfende Bruſt; fuhr
aber bald haſtig auf und ergriff ihn, zuruͤckſtoßend,
klammernd bey der Hand: „fort von hier, uͤber
Berg und Thal, laß mich! O haͤtt ich dich nie
geſehen, o ich Ungluͤckſelige! Ich beſchwoͤre dich
bey aller unſrer Wonne, bey deiner und meiner
Liebe, ſtuͤrzte ſie ſich ihm zu Fuͤßen, und umwand
ſeine Knie: uͤberwaͤltige dich meinetwegen, der
Ruhe meiner Familie wegen, verſchiebe wenig-
ſtens die Rache! Mich feſſelt das grauſame Schik-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/152>, abgerufen am 24.11.2024.
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