und ist für den, der sie nicht kennt, eben so un- bedeutend, als die Hieroglyphen für die Römer auf ihren prächtigen Oblisken. Von der sinnli- chen Natur aber geht man hernach über in die Geisterwelt; und macht in Entzücken Bekannt- schaft mit den großen Griechen und Römern, und allen außerordentlichen Wesen, die diese Nacht erleuchten.
Als mein Vater einige Jahre weg war, fuhr er fort, bekam ich eine solche Sehnsucht nach ihm, daß ich nicht länger bleiben konnte. Ich fühlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen seiner buhlerischen Tochter erst recht lebendig; sah meine eigne Gefahr, und machte mich ohn- geachtet der Vorstellungen meiner Tante auf, und reiste ihm nach, ohne zu wissen, wo er sich eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Na- men nach Venedig, um dort, während ich ihn auskundschaftete, die Werke Tizians zu studie- ren, und vom Paul Veronese und Tintorett zu
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und iſt fuͤr den, der ſie nicht kennt, eben ſo un- bedeutend, als die Hieroglyphen fuͤr die Roͤmer auf ihren praͤchtigen Oblisken. Von der ſinnli- chen Natur aber geht man hernach uͤber in die Geiſterwelt; und macht in Entzuͤcken Bekannt- ſchaft mit den großen Griechen und Roͤmern, und allen außerordentlichen Weſen, die dieſe Nacht erleuchten.
Als mein Vater einige Jahre weg war, fuhr er fort, bekam ich eine ſolche Sehnſucht nach ihm, daß ich nicht laͤnger bleiben konnte. Ich fuͤhlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen ſeiner buhleriſchen Tochter erſt recht lebendig; ſah meine eigne Gefahr, und machte mich ohn- geachtet der Vorſtellungen meiner Tante auf, und reiſte ihm nach, ohne zu wiſſen, wo er ſich eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Na- men nach Venedig, um dort, waͤhrend ich ihn auskundſchaftete, die Werke Tizians zu ſtudie- ren, und vom Paul Veroneſe und Tintorett zu
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und iſt fuͤr den, der ſie nicht kennt, eben ſo un-
bedeutend, als die Hieroglyphen fuͤr die Roͤmer
auf ihren praͤchtigen Oblisken. Von der ſinnli-
chen Natur aber geht man hernach uͤber in die
Geiſterwelt; und macht in Entzuͤcken Bekannt-
ſchaft mit den großen Griechen und Roͤmern, und
allen außerordentlichen Weſen, die dieſe Nacht
erleuchten.
Als mein Vater einige Jahre weg war,
fuhr er fort, bekam ich eine ſolche Sehnſucht nach
ihm, daß ich nicht laͤnger bleiben konnte. Ich
fuͤhlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen
ſeiner buhleriſchen Tochter erſt recht lebendig;
ſah meine eigne Gefahr, und machte mich ohn-
geachtet der Vorſtellungen meiner Tante auf,
und reiſte ihm nach, ohne zu wiſſen, wo er ſich
eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Na-
men nach Venedig, um dort, waͤhrend ich ihn
auskundſchaftete, die Werke Tizians zu ſtudie-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/118>, abgerufen am 22.11.2024.
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