Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.

Bild:
<< vorherige Seite

ungeschlachtes niedersächsisches Bauernherz verwundet werden
kann von dem freundschaftlichen Stich einer feinen, glatten
hochadligen Viper - die Götter haben gewiß Herrn Menzel
vor solchen Gefühlen bewahrt, sonst würde er die Herbheit
der Vossischen Schriften nur in den Thatsachen finden und
nicht in den Worten. Es mag wahr seyn, daß Voß, in
seinem protestantischen Eifer, die Bilderstürmerei etwas zu
weit trieb. Aber man bedenke, daß die Kirche jezt überall die
Verbündete der Aristokratie ist und sogar hie und da von ihr
besoldet wird. Die Kirche, einst die herrschende Dame, vor
welcher die Ritter ihre Knie beugten und zu deren Ehren sie
mit dem ganzen Orient tournierten, jene Kirche ist schwach
und alt geworden, sie möchte sich jezt eben diesen Rittern als
dienende Amme verdingen, und verspricht mit ihren Liedern
die Völker in den Schlaf zu lullen, damit man die Schlafen-
den leichter fesseln und scheeren könne.

Unter der Rubrik "Kunst" häufen sich die meisten Aus-
fälle gegen Voß. Diese Rubrik umfaßt beinah den ganzen
zweiten Theil des Menzelschen Werks. Die Urtheile über
unsere nächsten Zeitgenossen lassen wir unbesprochen. Die
Bewunderung, die der Vfr. für Jean Paul hegt, macht sei-
nem Herzen Ehre. Ebenfalls die Begeisterung für Schiller.
Auch wir nehmen daran Antheil; doch gehören wir nicht zu
denen, die durch Vergleichung Schillers mit Goethe den
Werth des leztern herabdrücken möchten. Beide Dichter sind
vom ersten Range, beide sind groß, vortrefflich, außerordent-
lich, und hegen wir etwas Vorneigung für Goethe, so ent-
steht sie doch nur aus dem geringfügigen Umstand, daß wir
glauben, Goethe wäre im Stande gewesen, einen ganzen
Friedrich Schiller mit allen dessen Räubern, Pikolominis,
Louisen, Marien und Jungfrauen zu dichten, wenn er der
ausführlichen Darstellung eines solchen Dichters nebst den
dazu gehörigen Gedichten in seinen Werken bedurft hätte.

Wir können über die Härte und Bitterkeit, womit Herr

ungeſchlachtes niederſächſiſches Bauernherz verwundet werden
kann von dem freundſchaftlichen Stich einer feinen, glatten
hochadligen Viper – die Götter haben gewiß Herrn Menzel
vor ſolchen Gefühlen bewahrt, ſonſt würde er die Herbheit
der Voſſiſchen Schriften nur in den Thatſachen finden und
nicht in den Worten. Es mag wahr ſeyn, daß Voß, in
ſeinem proteſtantiſchen Eifer, die Bilderſtürmerei etwas zu
weit trieb. Aber man bedenke, daß die Kirche jezt überall die
Verbündete der Ariſtokratie iſt und ſogar hie und da von ihr
beſoldet wird. Die Kirche, einſt die herrſchende Dame, vor
welcher die Ritter ihre Knie beugten und zu deren Ehren ſie
mit dem ganzen Orient tournierten, jene Kirche iſt ſchwach
und alt geworden, ſie möchte ſich jezt eben dieſen Rittern als
dienende Amme verdingen, und verſpricht mit ihren Liedern
die Völker in den Schlaf zu lullen, damit man die Schlafen-
den leichter feſſeln und ſcheeren könne.

Unter der Rubrik „Kunſt“ häufen ſich die meiſten Aus-
fälle gegen Voß. Dieſe Rubrik umfaßt beinah den ganzen
zweiten Theil des Menzelſchen Werks. Die Urtheile über
unſere nächſten Zeitgenoſſen laſſen wir unbeſprochen. Die
Bewunderung, die der Vfr. für Jean Paul hegt, macht ſei-
nem Herzen Ehre. Ebenfalls die Begeiſterung für Schiller.
Auch wir nehmen daran Antheil; doch gehören wir nicht zu
denen, die durch Vergleichung Schillers mit Goethe den
Werth des leztern herabdrücken möchten. Beide Dichter ſind
vom erſten Range, beide ſind groß, vortrefflich, außerordent-
lich, und hegen wir etwas Vorneigung für Goethe, ſo ent-
ſteht ſie doch nur aus dem geringfügigen Umſtand, daß wir
glauben, Goethe wäre im Stande geweſen, einen ganzen
Friedrich Schiller mit allen deſſen Räubern, Pikolominis,
Louiſen, Marien und Jungfrauen zu dichten, wenn er der
ausführlichen Darſtellung eines ſolchen Dichters nebſt den
dazu gehörigen Gedichten in ſeinen Werken bedurft hätte.

Wir können über die Härte und Bitterkeit, womit Herr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0013" n="295"/>
unge&#x017F;chlachtes nieder&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;ches Bauernherz verwundet werden<lb/>
kann von dem freund&#x017F;chaftlichen Stich einer feinen, glatten<lb/>
hochadligen Viper &#x2013; die Götter haben gewiß Herrn Menzel<lb/>
vor &#x017F;olchen Gefühlen bewahrt, &#x017F;on&#x017F;t würde er die Herbheit<lb/>
der Vo&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Schriften nur in den That&#x017F;achen finden und<lb/>
nicht in den Worten. Es mag wahr &#x017F;eyn, daß Voß, in<lb/>
&#x017F;einem prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Eifer, die Bilder&#x017F;türmerei etwas zu<lb/>
weit trieb. Aber man bedenke, daß die Kirche jezt überall die<lb/>
Verbündete der Ari&#x017F;tokratie i&#x017F;t und &#x017F;ogar hie und da von ihr<lb/>
be&#x017F;oldet wird. Die Kirche, ein&#x017F;t die herr&#x017F;chende Dame, vor<lb/>
welcher die Ritter ihre Knie beugten und zu deren Ehren &#x017F;ie<lb/>
mit dem ganzen Orient tournierten, jene Kirche i&#x017F;t &#x017F;chwach<lb/>
und alt geworden, &#x017F;ie möchte &#x017F;ich jezt eben die&#x017F;en Rittern als<lb/>
dienende Amme verdingen, und ver&#x017F;pricht mit ihren Liedern<lb/>
die Völker in den Schlaf zu lullen, damit man die Schlafen-<lb/>
den leichter fe&#x017F;&#x017F;eln und &#x017F;cheeren könne.</p><lb/>
        <p>Unter der Rubrik &#x201E;Kun&#x017F;t&#x201C; häufen &#x017F;ich die mei&#x017F;ten Aus-<lb/>
fälle gegen Voß. Die&#x017F;e Rubrik umfaßt beinah den ganzen<lb/>
zweiten Theil des Menzel&#x017F;chen Werks. Die Urtheile über<lb/>
un&#x017F;ere näch&#x017F;ten Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en wir unbe&#x017F;prochen. Die<lb/>
Bewunderung, die der Vfr. für Jean Paul hegt, macht &#x017F;ei-<lb/>
nem Herzen Ehre. Ebenfalls die Begei&#x017F;terung für Schiller.<lb/>
Auch wir nehmen daran Antheil; doch gehören wir nicht zu<lb/>
denen, die durch Vergleichung Schillers mit Goethe den<lb/>
Werth des leztern herabdrücken möchten. Beide Dichter &#x017F;ind<lb/>
vom er&#x017F;ten Range, beide &#x017F;ind groß, vortrefflich, außerordent-<lb/>
lich, und hegen wir etwas Vorneigung für Goethe, &#x017F;o ent-<lb/>
&#x017F;teht &#x017F;ie doch nur aus dem geringfügigen Um&#x017F;tand, daß wir<lb/>
glauben, Goethe wäre im Stande gewe&#x017F;en, einen ganzen<lb/>
Friedrich Schiller mit allen de&#x017F;&#x017F;en Räubern, Pikolominis,<lb/>
Loui&#x017F;en, Marien und Jungfrauen zu dichten, wenn er der<lb/>
ausführlichen Dar&#x017F;tellung eines &#x017F;olchen Dichters neb&#x017F;t den<lb/>
dazu gehörigen Gedichten in &#x017F;einen Werken bedurft hätte.</p><lb/>
        <p>Wir können über die Härte und Bitterkeit, womit Herr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0013] ungeſchlachtes niederſächſiſches Bauernherz verwundet werden kann von dem freundſchaftlichen Stich einer feinen, glatten hochadligen Viper – die Götter haben gewiß Herrn Menzel vor ſolchen Gefühlen bewahrt, ſonſt würde er die Herbheit der Voſſiſchen Schriften nur in den Thatſachen finden und nicht in den Worten. Es mag wahr ſeyn, daß Voß, in ſeinem proteſtantiſchen Eifer, die Bilderſtürmerei etwas zu weit trieb. Aber man bedenke, daß die Kirche jezt überall die Verbündete der Ariſtokratie iſt und ſogar hie und da von ihr beſoldet wird. Die Kirche, einſt die herrſchende Dame, vor welcher die Ritter ihre Knie beugten und zu deren Ehren ſie mit dem ganzen Orient tournierten, jene Kirche iſt ſchwach und alt geworden, ſie möchte ſich jezt eben dieſen Rittern als dienende Amme verdingen, und verſpricht mit ihren Liedern die Völker in den Schlaf zu lullen, damit man die Schlafen- den leichter feſſeln und ſcheeren könne. Unter der Rubrik „Kunſt“ häufen ſich die meiſten Aus- fälle gegen Voß. Dieſe Rubrik umfaßt beinah den ganzen zweiten Theil des Menzelſchen Werks. Die Urtheile über unſere nächſten Zeitgenoſſen laſſen wir unbeſprochen. Die Bewunderung, die der Vfr. für Jean Paul hegt, macht ſei- nem Herzen Ehre. Ebenfalls die Begeiſterung für Schiller. Auch wir nehmen daran Antheil; doch gehören wir nicht zu denen, die durch Vergleichung Schillers mit Goethe den Werth des leztern herabdrücken möchten. Beide Dichter ſind vom erſten Range, beide ſind groß, vortrefflich, außerordent- lich, und hegen wir etwas Vorneigung für Goethe, ſo ent- ſteht ſie doch nur aus dem geringfügigen Umſtand, daß wir glauben, Goethe wäre im Stande geweſen, einen ganzen Friedrich Schiller mit allen deſſen Räubern, Pikolominis, Louiſen, Marien und Jungfrauen zu dichten, wenn er der ausführlichen Darſtellung eines ſolchen Dichters nebſt den dazu gehörigen Gedichten in ſeinen Werken bedurft hätte. Wir können über die Härte und Bitterkeit, womit Herr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-25T12:22:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Magdalena Schulze, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828/13
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298, hier S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828/13>, abgerufen am 27.04.2024.