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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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unter stolzer Militär-Eskorte, die Geistlichen so
gar trübseelig und jammervoll einherwandeln, so
ergreift es mich immer schmerzhaft, und es ist
mir als sähe ich unseren Heiland selbst, umringt
von Lanzenträgern, zur Richtstätte abführen. Die
Sterne zu Lukka dachten gewiß wie ich, und als
ich seufzend nach ihnen hinaufblickte, sahen sie
mich so übereinstimmend an mit ihren frommen
Augen, so hell, so klar. Aber man bedurfte nicht
ihres Lichtes, tausend und abertausend Lampen
und Kerzen und Mädchengesichter flimmerten aus
allen Fenstern, an den Straßenecken standen lo¬
dernde Pechkränze aufgepflanzt, und dann hatte
auch jeder Geistliche noch seinen besonderen Ker¬
zenträger zur Seite. Die Kapuziner hatten mei¬
stens kleine Buben, die ihnen die Kerze trugen,
und die jugendlich frischen Gesichtchen schauten
bisweilen recht neugierig vergnügt hinauf nach den
alten, ernsten Bärten; so ein armer Kapuziner
kann keinen großen Kerzenträger besolden, und

unter ſtolzer Militaͤr-Eskorte, die Geiſtlichen ſo
gar truͤbſeelig und jammervoll einherwandeln, ſo
ergreift es mich immer ſchmerzhaft, und es iſt
mir als ſaͤhe ich unſeren Heiland ſelbſt, umringt
von Lanzentraͤgern, zur Richtſtaͤtte abfuͤhren. Die
Sterne zu Lukka dachten gewiß wie ich, und als
ich ſeufzend nach ihnen hinaufblickte, ſahen ſie
mich ſo uͤbereinſtimmend an mit ihren frommen
Augen, ſo hell, ſo klar. Aber man bedurfte nicht
ihres Lichtes, tauſend und abertauſend Lampen
und Kerzen und Maͤdchengeſichter flimmerten aus
allen Fenſtern, an den Straßenecken ſtanden lo¬
dernde Pechkraͤnze aufgepflanzt, und dann hatte
auch jeder Geiſtliche noch ſeinen beſonderen Ker¬
zentraͤger zur Seite. Die Kapuziner hatten mei¬
ſtens kleine Buben, die ihnen die Kerze trugen,
und die jugendlich friſchen Geſichtchen ſchauten
bisweilen recht neugierig vergnuͤgt hinauf nach den
alten, ernſten Baͤrten; ſo ein armer Kapuziner
kann keinen großen Kerzentraͤger beſolden, und

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[36/0050] unter ſtolzer Militaͤr-Eskorte, die Geiſtlichen ſo gar truͤbſeelig und jammervoll einherwandeln, ſo ergreift es mich immer ſchmerzhaft, und es iſt mir als ſaͤhe ich unſeren Heiland ſelbſt, umringt von Lanzentraͤgern, zur Richtſtaͤtte abfuͤhren. Die Sterne zu Lukka dachten gewiß wie ich, und als ich ſeufzend nach ihnen hinaufblickte, ſahen ſie mich ſo uͤbereinſtimmend an mit ihren frommen Augen, ſo hell, ſo klar. Aber man bedurfte nicht ihres Lichtes, tauſend und abertauſend Lampen und Kerzen und Maͤdchengeſichter flimmerten aus allen Fenſtern, an den Straßenecken ſtanden lo¬ dernde Pechkraͤnze aufgepflanzt, und dann hatte auch jeder Geiſtliche noch ſeinen beſonderen Ker¬ zentraͤger zur Seite. Die Kapuziner hatten mei¬ ſtens kleine Buben, die ihnen die Kerze trugen, und die jugendlich friſchen Geſichtchen ſchauten bisweilen recht neugierig vergnuͤgt hinauf nach den alten, ernſten Baͤrten; ſo ein armer Kapuziner kann keinen großen Kerzentraͤger beſolden, und

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/50>, abgerufen am 28.03.2024.