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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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so wenig wie ein Italiener mit minderer Andacht
bey einem Priester Messe hört oder beichtet, den
er noch Tags zuvor betrunken im Straßenkothe
gefunden hat. In Deutschland ist das anders,
der katholische Priester will da nicht bloß seine
Würde durch sein Amt, sondern auch sein Amt
durch seine Person repräsentiren; und weil er es
vielleicht Anfangs mit seinem Berufe wirklich ganz
ernsthaft gemeint hat, und er nachher, wenn seine
Keuschheits und Demuthsgelübde etwas mit dem
alten Adam kollidiren, sie dennoch nicht öffentlich
verletzen will, besonders auch weil er unserem
Freunde Krug in Leipzig keine Blöße geben will,
so sucht er wenigstens den Schein eines heiligen
Wandels zu bewahren. Daher Scheinheiligkeit,
Heucheley und gleißendes Frömmeln bey deutschen
Pfaffen; bey den italienischen hingegen viel mehr
Durchsichtigkeit der Maske, und eine gewisse feiste
Ironie und behagliche Weltverdauung.

Doch was helfen solche allgemeine Reflexionen!

ſo wenig wie ein Italiener mit minderer Andacht
bey einem Prieſter Meſſe hoͤrt oder beichtet, den
er noch Tags zuvor betrunken im Straßenkothe
gefunden hat. In Deutſchland iſt das anders,
der katholiſche Prieſter will da nicht bloß ſeine
Wuͤrde durch ſein Amt, ſondern auch ſein Amt
durch ſeine Perſon repraͤſentiren; und weil er es
vielleicht Anfangs mit ſeinem Berufe wirklich ganz
ernſthaft gemeint hat, und er nachher, wenn ſeine
Keuſchheits und Demuthsgeluͤbde etwas mit dem
alten Adam kollidiren, ſie dennoch nicht oͤffentlich
verletzen will, beſonders auch weil er unſerem
Freunde Krug in Leipzig keine Bloͤße geben will,
ſo ſucht er wenigſtens den Schein eines heiligen
Wandels zu bewahren. Daher Scheinheiligkeit,
Heucheley und gleißendes Froͤmmeln bey deutſchen
Pfaffen; bey den italieniſchen hingegen viel mehr
Durchſichtigkeit der Maske, und eine gewiſſe feiſte
Ironie und behagliche Weltverdauung.

Doch was helfen ſolche allgemeine Reflexionen!

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[24/0038] ſo wenig wie ein Italiener mit minderer Andacht bey einem Prieſter Meſſe hoͤrt oder beichtet, den er noch Tags zuvor betrunken im Straßenkothe gefunden hat. In Deutſchland iſt das anders, der katholiſche Prieſter will da nicht bloß ſeine Wuͤrde durch ſein Amt, ſondern auch ſein Amt durch ſeine Perſon repraͤſentiren; und weil er es vielleicht Anfangs mit ſeinem Berufe wirklich ganz ernſthaft gemeint hat, und er nachher, wenn ſeine Keuſchheits und Demuthsgeluͤbde etwas mit dem alten Adam kollidiren, ſie dennoch nicht oͤffentlich verletzen will, beſonders auch weil er unſerem Freunde Krug in Leipzig keine Bloͤße geben will, ſo ſucht er wenigſtens den Schein eines heiligen Wandels zu bewahren. Daher Scheinheiligkeit, Heucheley und gleißendes Froͤmmeln bey deutſchen Pfaffen; bey den italieniſchen hingegen viel mehr Durchſichtigkeit der Maske, und eine gewiſſe feiſte Ironie und behagliche Weltverdauung. Doch was helfen ſolche allgemeine Reflexionen!

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/38>, abgerufen am 23.04.2024.