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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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ohne Gnad und Barmherzigkeit gehenkt wird."
"Ohne Gnad und Barmherzigkeit!" seufzte neben
mir ein magerer Mann in einem verwirrten schwar¬
zen Rock, "Hängen! kein Mensch hat das Recht
einen andern umbringen zu lassen, am allerwenig¬
sten sollten Christen ein Todesurtheil fällen, da
sie doch daran denken sollten, daß der Stifter ihrer
Religion, unser Herr und Heiland, unschuldig
verurtheilt und hingerichtet worden!" "Ei was,"
rief wieder die dünne Dame, und lächelte mit
ihren dünnen Lippen, "wenn so ein Fälscher nicht
gehenkt würde, wäre ja kein reicher Mann seines
Vermögens sicher, z. B. der dicke Jude in Lom¬
bard Street, Saint Swinthins Lane, oder unser
Freund Herr Scott, dessen Handschrift so täu¬
schend nachgemacht worden. Und Herr Scott hat
doch sein Vermögen so sauer erworben, und man
sagt sogar, er sey dadurch reich geworden, daß er
für Geld die Krankheiten Anderer auf sich nahm,
ja die Kinder laufen ihm jetzt noch auf der Straße

ohne Gnad und Barmherzigkeit gehenkt wird.“
„Ohne Gnad und Barmherzigkeit!“ ſeufzte neben
mir ein magerer Mann in einem verwirrten ſchwar¬
zen Rock, „Haͤngen! kein Menſch hat das Recht
einen andern umbringen zu laſſen, am allerwenig¬
ſten ſollten Chriſten ein Todesurtheil faͤllen, da
ſie doch daran denken ſollten, daß der Stifter ihrer
Religion, unſer Herr und Heiland, unſchuldig
verurtheilt und hingerichtet worden!“ „Ei was,“
rief wieder die duͤnne Dame, und laͤchelte mit
ihren duͤnnen Lippen, „wenn ſo ein Faͤlſcher nicht
gehenkt wuͤrde, waͤre ja kein reicher Mann ſeines
Vermoͤgens ſicher, z. B. der dicke Jude in Lom¬
bard Street, Saint Swinthins Lane, oder unſer
Freund Herr Scott, deſſen Handſchrift ſo taͤu¬
ſchend nachgemacht worden. Und Herr Scott hat
doch ſein Vermoͤgen ſo ſauer erworben, und man
ſagt ſogar, er ſey dadurch reich geworden, daß er
fuͤr Geld die Krankheiten Anderer auf ſich nahm,
ja die Kinder laufen ihm jetzt noch auf der Straße

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[204/0218] ohne Gnad und Barmherzigkeit gehenkt wird.“ „Ohne Gnad und Barmherzigkeit!“ ſeufzte neben mir ein magerer Mann in einem verwirrten ſchwar¬ zen Rock, „Haͤngen! kein Menſch hat das Recht einen andern umbringen zu laſſen, am allerwenig¬ ſten ſollten Chriſten ein Todesurtheil faͤllen, da ſie doch daran denken ſollten, daß der Stifter ihrer Religion, unſer Herr und Heiland, unſchuldig verurtheilt und hingerichtet worden!“ „Ei was,“ rief wieder die duͤnne Dame, und laͤchelte mit ihren duͤnnen Lippen, „wenn ſo ein Faͤlſcher nicht gehenkt wuͤrde, waͤre ja kein reicher Mann ſeines Vermoͤgens ſicher, z. B. der dicke Jude in Lom¬ bard Street, Saint Swinthins Lane, oder unſer Freund Herr Scott, deſſen Handſchrift ſo taͤu¬ ſchend nachgemacht worden. Und Herr Scott hat doch ſein Vermoͤgen ſo ſauer erworben, und man ſagt ſogar, er ſey dadurch reich geworden, daß er fuͤr Geld die Krankheiten Anderer auf ſich nahm, ja die Kinder laufen ihm jetzt noch auf der Straße

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/218>, abgerufen am 28.12.2024.