der große Dichter, in seiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt hatte -- und ich konnte die bittersten Thränen vergießen, wenn der edle Ritter, für all seinen Edelmuth, nur Undank und Prügel genoß; und da ich, noch ungeübt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so konnten Vögel und Bäume, Bach und Blumen alles mit anhören, und da solche unschuldige Naturwesen, eben so wie die Kinder, von der Weltironie nichts wissen, so hiel¬ ten sie gleichfalls alles für baaren Ernst, und weinten mit über die Leiden des armen Ritters, sogar eine alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schüttelte heftiger seinen weißen Bart, und schien zu schelten auf die Schlechtig¬ keit der Welt. Wir fühlten, daß der Heldensinn des Ritters darum nicht mindere Bewundrung verdient, wenn ihm der Löwe ohne Kampflust den Rücken kehrte, und daß seine Thaten um so prei¬ senswerther, je schwächer und ausgedorrter sein Leib, je morscher die Rüstung, die ihn schützte, und je
der große Dichter, in ſeiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt hatte — und ich konnte die bitterſten Thraͤnen vergießen, wenn der edle Ritter, fuͤr all ſeinen Edelmuth, nur Undank und Pruͤgel genoß; und da ich, noch ungeuͤbt im Leſen, jedes Wort laut ausſprach, ſo konnten Voͤgel und Baͤume, Bach und Blumen alles mit anhoͤren, und da ſolche unſchuldige Naturweſen, eben ſo wie die Kinder, von der Weltironie nichts wiſſen, ſo hiel¬ ten ſie gleichfalls alles fuͤr baaren Ernſt, und weinten mit uͤber die Leiden des armen Ritters, ſogar eine alte ausgediente Eiche ſchluchzte, und der Waſſerfall ſchuͤttelte heftiger ſeinen weißen Bart, und ſchien zu ſchelten auf die Schlechtig¬ keit der Welt. Wir fuͤhlten, daß der Heldenſinn des Ritters darum nicht mindere Bewundrung verdient, wenn ihm der Loͤwe ohne Kampfluſt den Ruͤcken kehrte, und daß ſeine Thaten um ſo prei¬ ſenswerther, je ſchwaͤcher und ausgedorrter ſein Leib, je morſcher die Ruͤſtung, die ihn ſchuͤtzte, und je
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der große Dichter, in ſeiner gedruckten Kleinwelt
nachgeahmt hatte — und ich konnte die bitterſten
Thraͤnen vergießen, wenn der edle Ritter, fuͤr all
ſeinen Edelmuth, nur Undank und Pruͤgel genoß;
und da ich, noch ungeuͤbt im Leſen, jedes Wort
laut ausſprach, ſo konnten Voͤgel und Baͤume,
Bach und Blumen alles mit anhoͤren, und da
ſolche unſchuldige Naturweſen, eben ſo wie die
Kinder, von der Weltironie nichts wiſſen, ſo hiel¬
ten ſie gleichfalls alles fuͤr baaren Ernſt, und
weinten mit uͤber die Leiden des armen Ritters,
ſogar eine alte ausgediente Eiche ſchluchzte, und
der Waſſerfall ſchuͤttelte heftiger ſeinen weißen
Bart, und ſchien zu ſchelten auf die Schlechtig¬
keit der Welt. Wir fuͤhlten, daß der Heldenſinn
des Ritters darum nicht mindere Bewundrung
verdient, wenn ihm der Loͤwe ohne Kampfluſt den
Ruͤcken kehrte, und daß ſeine Thaten um ſo prei¬
ſenswerther, je ſchwaͤcher und ausgedorrter ſein Leib,
je morſcher die Ruͤſtung, die ihn ſchuͤtzte, und je
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/136>, abgerufen am 21.01.2025.
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