Jesus Christus selbst, der uns bisher immer für ein Muster der Demuth und Bescheidenheit ge¬ golten. Christus hätte jemals geprahlt? der be¬ scheidenste der Menschen, um so bescheidener als er der göttlichste war? Ja, was bisher allen Theologen entgangen ist, das entdeckte der Graf Platen, denn er insinuirt uns: Christus, als er vor Pilatus gestanden, sey ebenfalls nicht beschei¬ den gewesen, und habe nicht bescheiden geantwor¬ tet, sondern als jener ihn frug, bist du der König der Juden? habe er gesprochen: du sagst es. Und so sage auch Er, der Graf Platen: Ich bin es, ich bin der Poet! -- Was nie dem Hasse eines Verächters Christi gelungen ist, das gelang der Exegese selbstverliebter Eitelkeit.
Wie wir wissen, was wir davon zu halten, wenn Einer solchermaßen beständig schreit: Ich bin der Poet! so wissen wir auch, was es für eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬
Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬ golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬ ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬ den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬ tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es. Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin es, ich bin der Poet! — Was nie dem Haſſe eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit.
Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten, wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬
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Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr
ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬
golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬
ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als
er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen
Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf
Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er
vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬
den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬
tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig
der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es.
Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin
es, ich bin der Poet! — Was nie dem Haſſe
eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang
der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit.
Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten,
wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich
bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/396>, abgerufen am 22.11.2024.
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