Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du
hast Sonne, Mond und Sterne erschaffen und
die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann
kicherte es aus den Myrthenbüschen, und heimlich
seufzte ich in mich hinein: O süße Thorheit, ver¬
laß mich nicht!

Späterhin, als die Dämmerungszeit herankam,
begann erst recht die verrückte Seligkeit der
Liebe. Die Bäume auf den Bergen tanzten
nicht mehr einzeln, sondern die Berge selbst tanzten
mit schweren Häuptern, die von der scheidenden
Sonne so roth bestrahlt wurden, als hätten sie
sich mit ihren eignen Weintrauben berauscht.
Unten der Bach schoß hastiger von dannen, und
rauschte angstvoll, als fürchte er, die entzückt
taumelnden Berge würden zu Boden stürzen.
Dabey wetterleuchtete es so lieblich, wie lichte
Küsse. Ja, rief ich, der lachende Himmel küßt
die geliebte Erde -- O Franscheska, schöner
Himmel, laß mich deine Erde seyn! Ich bin so

19 *

ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du
haſt Sonne, Mond und Sterne erſchaffen und
die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann
kicherte es aus den Myrthenbuͤſchen, und heimlich
ſeufzte ich in mich hinein: O ſuͤße Thorheit, ver¬
laß mich nicht!

Spaͤterhin, als die Daͤmmerungszeit herankam,
begann erſt recht die verruͤckte Seligkeit der
Liebe. Die Baͤume auf den Bergen tanzten
nicht mehr einzeln, ſondern die Berge ſelbſt tanzten
mit ſchweren Haͤuptern, die von der ſcheidenden
Sonne ſo roth beſtrahlt wurden, als haͤtten ſie
ſich mit ihren eignen Weintrauben berauſcht.
Unten der Bach ſchoß haſtiger von dannen, und
rauſchte angſtvoll, als fuͤrchte er, die entzuͤckt
taumelnden Berge wuͤrden zu Boden ſtuͤrzen.
Dabey wetterleuchtete es ſo lieblich, wie lichte
Kuͤſſe. Ja, rief ich, der lachende Himmel kuͤßt
die geliebte Erde — O Franſcheska, ſchoͤner
Himmel, laß mich deine Erde ſeyn! Ich bin ſo

19 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0299" n="291"/>
ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du<lb/>
ha&#x017F;t Sonne, Mond und Sterne er&#x017F;chaffen und<lb/>
die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann<lb/>
kicherte es aus den Myrthenbu&#x0364;&#x017F;chen, und heimlich<lb/>
&#x017F;eufzte ich in mich hinein: O &#x017F;u&#x0364;ße Thorheit, ver¬<lb/>
laß mich nicht!</p><lb/>
          <p>Spa&#x0364;terhin, als die Da&#x0364;mmerungszeit herankam,<lb/>
begann er&#x017F;t recht die verru&#x0364;ckte Seligkeit der<lb/>
Liebe. Die Ba&#x0364;ume auf den Bergen tanzten<lb/>
nicht mehr einzeln, &#x017F;ondern die Berge &#x017F;elb&#x017F;t tanzten<lb/>
mit &#x017F;chweren Ha&#x0364;uptern, die von der &#x017F;cheidenden<lb/>
Sonne &#x017F;o roth be&#x017F;trahlt wurden, als ha&#x0364;tten &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich mit ihren eignen Weintrauben berau&#x017F;cht.<lb/>
Unten der Bach &#x017F;choß ha&#x017F;tiger von dannen, und<lb/>
rau&#x017F;chte ang&#x017F;tvoll, als fu&#x0364;rchte er, die entzu&#x0364;ckt<lb/>
taumelnden Berge wu&#x0364;rden zu Boden &#x017F;tu&#x0364;rzen.<lb/>
Dabey wetterleuchtete es &#x017F;o lieblich, wie lichte<lb/>
Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Ja, rief ich, der lachende Himmel ku&#x0364;ßt<lb/>
die geliebte Erde &#x2014; O Fran&#x017F;cheska, &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
Himmel, laß mich deine Erde &#x017F;eyn! Ich bin &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">19 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0299] ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du haſt Sonne, Mond und Sterne erſchaffen und die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann kicherte es aus den Myrthenbuͤſchen, und heimlich ſeufzte ich in mich hinein: O ſuͤße Thorheit, ver¬ laß mich nicht! Spaͤterhin, als die Daͤmmerungszeit herankam, begann erſt recht die verruͤckte Seligkeit der Liebe. Die Baͤume auf den Bergen tanzten nicht mehr einzeln, ſondern die Berge ſelbſt tanzten mit ſchweren Haͤuptern, die von der ſcheidenden Sonne ſo roth beſtrahlt wurden, als haͤtten ſie ſich mit ihren eignen Weintrauben berauſcht. Unten der Bach ſchoß haſtiger von dannen, und rauſchte angſtvoll, als fuͤrchte er, die entzuͤckt taumelnden Berge wuͤrden zu Boden ſtuͤrzen. Dabey wetterleuchtete es ſo lieblich, wie lichte Kuͤſſe. Ja, rief ich, der lachende Himmel kuͤßt die geliebte Erde — O Franſcheska, ſchoͤner Himmel, laß mich deine Erde ſeyn! Ich bin ſo 19 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/299
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/299>, abgerufen am 02.07.2024.