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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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übrig geblieben ist, als diese bunten Schatten,
die ein Maler, der gleich ihnen längst vermodert
ist, auf ein morsch Stückchen Leinwand gepinselt
hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zer¬
fällt und verweht. So geht alles Leben, das
Schöne eben so wie das Häßliche, spurlos vor¬
über, der Tod, der dürre Pedant, verschont die
Rose eben so wenig wie die Distel, er vergißt
auch nicht das einsame Hälmchen in der fernsten
Wildniß, er zerstört gründlich und unaufhörlich,
überall sehen wir, wie er Pflanzen und Thiere,
die Menschen und ihre Werke, zu Staub zer¬
stampft, und selbst jene egyptischen Pyramiden,
die seiner Zerstörungswuth zu trotzen scheinen,
sie sind nur Trophäen seiner Macht, Denkmäler
der Vergänglichkeit, uralte Königsgräber.

Aber noch schlimmer als dieses Gefühl eines
ewigen Sterbens, einer öden gähnenden Vernich¬
tung, ergreift uns der Gedanke, daß wir nicht

uͤbrig geblieben iſt, als dieſe bunten Schatten,
die ein Maler, der gleich ihnen laͤngſt vermodert
iſt, auf ein morſch Stuͤckchen Leinwand gepinſelt
hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zer¬
faͤllt und verweht. So geht alles Leben, das
Schoͤne eben ſo wie das Haͤßliche, ſpurlos vor¬
uͤber, der Tod, der duͤrre Pedant, verſchont die
Roſe eben ſo wenig wie die Diſtel, er vergißt
auch nicht das einſame Haͤlmchen in der fernſten
Wildniß, er zerſtoͤrt gruͤndlich und unaufhoͤrlich,
uͤberall ſehen wir, wie er Pflanzen und Thiere,
die Menſchen und ihre Werke, zu Staub zer¬
ſtampft, und ſelbſt jene egyptiſchen Pyramiden,
die ſeiner Zerſtoͤrungswuth zu trotzen ſcheinen,
ſie ſind nur Trophaͤen ſeiner Macht, Denkmaͤler
der Vergaͤnglichkeit, uralte Koͤnigsgraͤber.

Aber noch ſchlimmer als dieſes Gefuͤhl eines
ewigen Sterbens, einer oͤden gaͤhnenden Vernich¬
tung, ergreift uns der Gedanke, daß wir nicht

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[210/0218] uͤbrig geblieben iſt, als dieſe bunten Schatten, die ein Maler, der gleich ihnen laͤngſt vermodert iſt, auf ein morſch Stuͤckchen Leinwand gepinſelt hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zer¬ faͤllt und verweht. So geht alles Leben, das Schoͤne eben ſo wie das Haͤßliche, ſpurlos vor¬ uͤber, der Tod, der duͤrre Pedant, verſchont die Roſe eben ſo wenig wie die Diſtel, er vergißt auch nicht das einſame Haͤlmchen in der fernſten Wildniß, er zerſtoͤrt gruͤndlich und unaufhoͤrlich, uͤberall ſehen wir, wie er Pflanzen und Thiere, die Menſchen und ihre Werke, zu Staub zer¬ ſtampft, und ſelbſt jene egyptiſchen Pyramiden, die ſeiner Zerſtoͤrungswuth zu trotzen ſcheinen, ſie ſind nur Trophaͤen ſeiner Macht, Denkmaͤler der Vergaͤnglichkeit, uralte Koͤnigsgraͤber. Aber noch ſchlimmer als dieſes Gefuͤhl eines ewigen Sterbens, einer oͤden gaͤhnenden Vernich¬ tung, ergreift uns der Gedanke, daß wir nicht

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/218>, abgerufen am 24.11.2024.