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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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blühen hervor, und drüber hin ziehen die
Gedanken, wie Wolkenzüge, stolz und langsam
und ewig.

Ich wandelte noch bis spät nach Mitternacht
durch die Straßen Veronas, die allmählich men¬
schenleer wurden und wunderbar wiederhallten.
Im halben Mondlicht dämmerten die Gebäude
und ihre Bildwerke, und bleich und schmerzhaft
sah mich an manch' marmornes Gesicht. Ich
eilte schnell den Grabmälern der Scaliger vor¬
über; denn mir schien, als wolle Can Grande,
artig wie er immer gegen Dichter war, von
seinem Rosse herabsteigen und mich als Weg¬
weiser begleiten. Bleib du nur sitzen, rief ich
ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz ist
der beste Cicerone und erzählt mir überall die
Geschichten, die in den Häusern passirt sind, und
bis auf Namen und Jahrzahl erzählt es sie
treu genug.

bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die
Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam
und ewig.

Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht
durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬
ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten.
Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude
und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft
ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich
eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬
uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande,
artig wie er immer gegen Dichter war, von
ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬
weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich
ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt
der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die
Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und
bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie
treu genug.

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[151/0159] bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam und ewig. Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬ ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten. Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬ uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande, artig wie er immer gegen Dichter war, von ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬ weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie treu genug.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/159>, abgerufen am 22.11.2024.