blühen hervor, und drüber hin ziehen die Gedanken, wie Wolkenzüge, stolz und langsam und ewig.
Ich wandelte noch bis spät nach Mitternacht durch die Straßen Veronas, die allmählich men¬ schenleer wurden und wunderbar wiederhallten. Im halben Mondlicht dämmerten die Gebäude und ihre Bildwerke, und bleich und schmerzhaft sah mich an manch' marmornes Gesicht. Ich eilte schnell den Grabmälern der Scaliger vor¬ über; denn mir schien, als wolle Can Grande, artig wie er immer gegen Dichter war, von seinem Rosse herabsteigen und mich als Weg¬ weiser begleiten. Bleib du nur sitzen, rief ich ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz ist der beste Cicerone und erzählt mir überall die Geschichten, die in den Häusern passirt sind, und bis auf Namen und Jahrzahl erzählt es sie treu genug.
bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam und ewig.
Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬ ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten. Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬ uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande, artig wie er immer gegen Dichter war, von ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬ weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie treu genug.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0159"n="151"/>
bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die<lb/>
Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam<lb/>
und ewig.</p><lb/><p>Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht<lb/>
durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬<lb/>ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten.<lb/>
Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude<lb/>
und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft<lb/>ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich<lb/>
eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬<lb/>
uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande,<lb/>
artig wie er immer gegen Dichter war, von<lb/>ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬<lb/>
weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich<lb/>
ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt<lb/>
der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die<lb/>
Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und<lb/>
bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie<lb/>
treu genug.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[151/0159]
bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die
Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam
und ewig.
Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht
durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬
ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten.
Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude
und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft
ſah mich an manch' marmornes Geſicht. Ich
eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬
uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande,
artig wie er immer gegen Dichter war, von
ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬
weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich
ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt
der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die
Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und
bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie
treu genug.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/159>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.