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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Marcus eben dieser Römer war, so glaubte er
sich berechtigt, mich deßhalb umzubringen. Hin¬
ter diesen Beiden schlich Tiberius Nero, mit
Nebelbeinen und unbestimmten Mienen. Auch
Weiber sah ich dort wandeln, darunter Agrippina,
mit ihrem schönen herrschsüchtigen Gesichte, das
wundersam rührend anzusehen war, wie ein altes
Marmorbild, in dessen Zügen der Schmerz wie
versteinert erscheint. Wen suchst du, Tochter
des Germanicus? Schon hörte ich sie klagen --
da plötzlich erscholl das dumpfsinnige Geläute einer
Betglocke und das fatale Getrommel des Zapfen¬
streichs. Die stolzen römischen Geister verschwan¬
den, und ich war wieder ganz in der christlich
östreichischen Gegenwart.


Marcus eben dieſer Roͤmer war, ſo glaubte er
ſich berechtigt, mich deßhalb umzubringen. Hin¬
ter dieſen Beiden ſchlich Tiberius Nero, mit
Nebelbeinen und unbeſtimmten Mienen. Auch
Weiber ſah ich dort wandeln, darunter Agrippina,
mit ihrem ſchoͤnen herrſchſuͤchtigen Geſichte, das
wunderſam ruͤhrend anzuſehen war, wie ein altes
Marmorbild, in deſſen Zuͤgen der Schmerz wie
verſteinert erſcheint. Wen ſuchſt du, Tochter
des Germanicus? Schon hoͤrte ich ſie klagen —
da ploͤtzlich erſcholl das dumpfſinnige Gelaͤute einer
Betglocke und das fatale Getrommel des Zapfen¬
ſtreichs. Die ſtolzen roͤmiſchen Geiſter verſchwan¬
den, und ich war wieder ganz in der chriſtlich
oͤſtreichiſchen Gegenwart.


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[149/0157] Marcus eben dieſer Roͤmer war, ſo glaubte er ſich berechtigt, mich deßhalb umzubringen. Hin¬ ter dieſen Beiden ſchlich Tiberius Nero, mit Nebelbeinen und unbeſtimmten Mienen. Auch Weiber ſah ich dort wandeln, darunter Agrippina, mit ihrem ſchoͤnen herrſchſuͤchtigen Geſichte, das wunderſam ruͤhrend anzuſehen war, wie ein altes Marmorbild, in deſſen Zuͤgen der Schmerz wie verſteinert erſcheint. Wen ſuchſt du, Tochter des Germanicus? Schon hoͤrte ich ſie klagen — da ploͤtzlich erſcholl das dumpfſinnige Gelaͤute einer Betglocke und das fatale Getrommel des Zapfen¬ ſtreichs. Die ſtolzen roͤmiſchen Geiſter verſchwan¬ den, und ich war wieder ganz in der chriſtlich oͤſtreichiſchen Gegenwart.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/157>, abgerufen am 06.05.2024.