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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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hältniß zwischen Körper und Seele quält mich
einigermaßen, und hier am Meere, in großar¬
tiger Naturumgebung, wird es mir zuweilen
recht deutlich, und die Metempsychose ist oft
der Gegenstand meines Nachdenkens. Wer
kennt die große Gottesironie, die allerley Wi¬
dersprüche zwischen Seele und Körper hervorzu¬
bringen pflegt. Wer kann wissen, in welchem
Schneider jetzt die Seele eines Platos, und in
welchem Schulmeister die Seele eines Cäsars
wohnt! Wer weiß, ob die Seele Gregors VII.
nicht in dem Leibe des Großtürken sitzt, und
sich unter tausend hätschelnden Weiberhändchen
behaglicher fühlt, als einst in ihrer purpurnen
Cölibatskutte. Hingegen wie viele Seelen treuer
Moslemim aus Aly's Zeiten mögen sich jetzt in
unseren antihellenischen Cabinettern befinden!
Die Seelen der beiden Schächer, die zur Seite
des Heilands gekreuzigt worden, sitzen vielleicht
jetzt in dicken Konsistorialbäuchen und glühen
für den orthodoxen Lehrbegriff. Die Seele

haͤltniß zwiſchen Koͤrper und Seele quaͤlt mich
einigermaßen, und hier am Meere, in großar¬
tiger Naturumgebung, wird es mir zuweilen
recht deutlich, und die Metempſychoſe iſt oft
der Gegenſtand meines Nachdenkens. Wer
kennt die große Gottesironie, die allerley Wi¬
derſpruͤche zwiſchen Seele und Koͤrper hervorzu¬
bringen pflegt. Wer kann wiſſen, in welchem
Schneider jetzt die Seele eines Platos, und in
welchem Schulmeiſter die Seele eines Caͤſars
wohnt! Wer weiß, ob die Seele Gregors VII.
nicht in dem Leibe des Großtuͤrken ſitzt, und
ſich unter tauſend haͤtſchelnden Weiberhaͤndchen
behaglicher fuͤhlt, als einſt in ihrer purpurnen
Coͤlibatskutte. Hingegen wie viele Seelen treuer
Moslemim aus Aly's Zeiten moͤgen ſich jetzt in
unſeren antihelleniſchen Cabinettern befinden!
Die Seelen der beiden Schaͤcher, die zur Seite
des Heilands gekreuzigt worden, ſitzen vielleicht
jetzt in dicken Konſiſtorialbaͤuchen und gluͤhen
fuͤr den orthodoxen Lehrbegriff. Die Seele

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[76/0084] haͤltniß zwiſchen Koͤrper und Seele quaͤlt mich einigermaßen, und hier am Meere, in großar¬ tiger Naturumgebung, wird es mir zuweilen recht deutlich, und die Metempſychoſe iſt oft der Gegenſtand meines Nachdenkens. Wer kennt die große Gottesironie, die allerley Wi¬ derſpruͤche zwiſchen Seele und Koͤrper hervorzu¬ bringen pflegt. Wer kann wiſſen, in welchem Schneider jetzt die Seele eines Platos, und in welchem Schulmeiſter die Seele eines Caͤſars wohnt! Wer weiß, ob die Seele Gregors VII. nicht in dem Leibe des Großtuͤrken ſitzt, und ſich unter tauſend haͤtſchelnden Weiberhaͤndchen behaglicher fuͤhlt, als einſt in ihrer purpurnen Coͤlibatskutte. Hingegen wie viele Seelen treuer Moslemim aus Aly's Zeiten moͤgen ſich jetzt in unſeren antihelleniſchen Cabinettern befinden! Die Seelen der beiden Schaͤcher, die zur Seite des Heilands gekreuzigt worden, ſitzen vielleicht jetzt in dicken Konſiſtorialbaͤuchen und gluͤhen fuͤr den orthodoxen Lehrbegriff. Die Seele

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/84>, abgerufen am 30.04.2024.