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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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schaute, fühlte sich beengt und elend, und wenn
er hindurch brechen wollte, erhaschte ihn leicht
die schlaue Weberin, und sog ihm das kühne
Blut aus dem Herzen; --Und war das Traum¬
glück der blöden Menge nicht zu theuer erkauft
für solches Blut? Die Tage der Geistesknecht¬
schaft sind vorüber; alterschwach, zwischen den
gebrochenen Säulen ihres Colisäums, sitzt die
alte Kreuzspinne, und spinnt noch immer das
alte Gewebe, aber es ist matt und morsch, und
es verfangen sich darin nur Schmetterlinge
und Fledermäuse, und nicht mehr die Stein¬
adler des Nordens.

-- Es ist doch wirklich belächelnswerth,
während ich im Begriff bin, mich so recht
wohlwollend über die Absichten der römischen
Kirche zu verbreiten, erfaßt mich plötzlich der
angewöhnte protestantische Eifer, der ihr immer
das Schlimmste zumuthet; und eben dieser Mei¬
nungszwiespalt in mir selbst giebt mir wieder
ein Bild von der Zerrissenheit der Denkweise

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ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn
er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht
die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne
Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬
gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft
fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬
ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den
gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die
alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das
alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und
es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge
und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬
adler des Nordens.

— Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth,
waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht
wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen
Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der
angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer
das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬
nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder
ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe

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[49/0057] ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬ gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬ ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬ adler des Nordens. — Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth, waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬ nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe 4

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/57>, abgerufen am 30.04.2024.