Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

in dem kleinen Särglein lag. Die brennenden
Kerzen, die rund umher standen, warfen ihren
Schimmer auf das bleiche, lächelnde Gesichtchen,
und auf die rothseidenen Röschen und rauschen¬
den Goldflitterchen, womit das Köpfchen und
das weiße Todtenhemdchen verziert war -- die
fromme Ursula hatte mich Abends in das stille
Zimmer geführt, und als ich die kleine Leiche,
mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tische
ausgestellt sah, glaubte ich Anfangs, es sey ein
hübsches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald
erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend:
warum die kleine Veronika so still sey? und die
Ursula sagte: das thut der Tod.

Und als sie sagte: das thut der Tod --
Doch ich will heute diese Geschichte nicht er¬
zählen, sie würde sich zu sehr in die Länge
ziehen, ich müßte auch vorher von der lahmen
Elster sprechen, die auf dem Schloßplatz herum¬
hinkte und dreyhundert Jahr' alt war, und

in dem kleinen Saͤrglein lag. Die brennenden
Kerzen, die rund umher ſtanden, warfen ihren
Schimmer auf das bleiche, laͤchelnde Geſichtchen,
und auf die rothſeidenen Roͤschen und rauſchen¬
den Goldflitterchen, womit das Koͤpfchen und
das weiße Todtenhemdchen verziert war — die
fromme Urſula hatte mich Abends in das ſtille
Zimmer gefuͤhrt, und als ich die kleine Leiche,
mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tiſche
ausgeſtellt ſah, glaubte ich Anfangs, es ſey ein
huͤbſches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald
erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend:
warum die kleine Veronika ſo ſtill ſey? und die
Urſula ſagte: das thut der Tod.

Und als ſie ſagte: das thut der Tod —
Doch ich will heute dieſe Geſchichte nicht er¬
zaͤhlen, ſie wuͤrde ſich zu ſehr in die Laͤnge
ziehen, ich muͤßte auch vorher von der lahmen
Elſter ſprechen, die auf dem Schloßplatz herum¬
hinkte und dreyhundert Jahr' alt war, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0290" n="282"/>
in dem kleinen Sa&#x0364;rglein lag. Die brennenden<lb/>
Kerzen, die rund umher &#x017F;tanden, warfen ihren<lb/>
Schimmer auf das bleiche, la&#x0364;chelnde Ge&#x017F;ichtchen,<lb/>
und auf die roth&#x017F;eidenen Ro&#x0364;schen und rau&#x017F;chen¬<lb/>
den Goldflitterchen, womit das Ko&#x0364;pfchen und<lb/>
das weiße Todtenhemdchen verziert war &#x2014; die<lb/>
fromme Ur&#x017F;ula hatte mich Abends in das &#x017F;tille<lb/>
Zimmer gefu&#x0364;hrt, und als ich die kleine Leiche,<lb/>
mit den Lichtern und Blumen, auf dem Ti&#x017F;che<lb/>
ausge&#x017F;tellt &#x017F;ah, glaubte ich Anfangs, es &#x017F;ey ein<lb/>
hu&#x0364;b&#x017F;ches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald<lb/>
erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend:<lb/>
warum die kleine Veronika &#x017F;o &#x017F;till &#x017F;ey? und die<lb/>
Ur&#x017F;ula &#x017F;agte: das thut der Tod.</p><lb/>
          <p>Und als &#x017F;ie &#x017F;agte: das thut der Tod &#x2014;<lb/>
Doch ich will heute die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte nicht er¬<lb/>
za&#x0364;hlen, &#x017F;ie wu&#x0364;rde &#x017F;ich zu &#x017F;ehr in die La&#x0364;nge<lb/>
ziehen, ich mu&#x0364;ßte auch vorher von der lahmen<lb/>
El&#x017F;ter &#x017F;prechen, die auf dem Schloßplatz herum¬<lb/>
hinkte und dreyhundert Jahr' alt war, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0290] in dem kleinen Saͤrglein lag. Die brennenden Kerzen, die rund umher ſtanden, warfen ihren Schimmer auf das bleiche, laͤchelnde Geſichtchen, und auf die rothſeidenen Roͤschen und rauſchen¬ den Goldflitterchen, womit das Koͤpfchen und das weiße Todtenhemdchen verziert war — die fromme Urſula hatte mich Abends in das ſtille Zimmer gefuͤhrt, und als ich die kleine Leiche, mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tiſche ausgeſtellt ſah, glaubte ich Anfangs, es ſey ein huͤbſches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend: warum die kleine Veronika ſo ſtill ſey? und die Urſula ſagte: das thut der Tod. Und als ſie ſagte: das thut der Tod — Doch ich will heute dieſe Geſchichte nicht er¬ zaͤhlen, ſie wuͤrde ſich zu ſehr in die Laͤnge ziehen, ich muͤßte auch vorher von der lahmen Elſter ſprechen, die auf dem Schloßplatz herum¬ hinkte und dreyhundert Jahr' alt war, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/290
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/290>, abgerufen am 17.05.2024.