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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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Und der Schiffer im Wellengeräusch es hört
Wie der Alte sein Weib ausschilt:
"Runde Metze des Weltalls!
Strahlenbuhlende!
Den ganzen Tag glühst du für Andre,
Und Nachts, für Mich, bist du frostig und müde!"
Nach solcher Gardienenpredigt,
Versteht sich! bricht dann aus in Thränen
Die stolze Sonne und klagt ihr Elend,
Und klagt so jammerlang, daß der Meergott
Plötzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett springt,
Und schnell nach der Meeresfläche heraufschwimmt,
Um Luft und Besinnung zu schöpfen.

So sah ich ihn selbst, verflossene Nacht,
Bis an die Brust dem Meer' enttauchen.
Er trug eine Jacke von gelbem Flanell,
Und eine liljenweiße Schlafmütz,
Und ein abgewelktes Gesicht.

Und der Schiffer im Wellengeraͤuſch es hoͤrt
Wie der Alte ſein Weib ausſchilt:
„Runde Metze des Weltalls!
Strahlenbuhlende!
Den ganzen Tag gluͤhſt du fuͤr Andre,
Und Nachts, fuͤr Mich, biſt du froſtig und muͤde!“
Nach ſolcher Gardienenpredigt,
Verſteht ſich! bricht dann aus in Thraͤnen
Die ſtolze Sonne und klagt ihr Elend,
Und klagt ſo jammerlang, daß der Meergott
Ploͤtzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett ſpringt,
Und ſchnell nach der Meeresflaͤche heraufſchwimmt,
Um Luft und Beſinnung zu ſchoͤpfen.

So ſah ich ihn ſelbſt, verfloſſene Nacht,
Bis an die Bruſt dem Meer' enttauchen.
Er trug eine Jacke von gelbem Flanell,
Und eine liljenweiße Schlafmuͤtz,
Und ein abgewelktes Geſicht.

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[14/0022] Und der Schiffer im Wellengeraͤuſch es hoͤrt Wie der Alte ſein Weib ausſchilt: „Runde Metze des Weltalls! Strahlenbuhlende! Den ganzen Tag gluͤhſt du fuͤr Andre, Und Nachts, fuͤr Mich, biſt du froſtig und muͤde!“ Nach ſolcher Gardienenpredigt, Verſteht ſich! bricht dann aus in Thraͤnen Die ſtolze Sonne und klagt ihr Elend, Und klagt ſo jammerlang, daß der Meergott Ploͤtzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett ſpringt, Und ſchnell nach der Meeresflaͤche heraufſchwimmt, Um Luft und Beſinnung zu ſchoͤpfen. So ſah ich ihn ſelbſt, verfloſſene Nacht, Bis an die Bruſt dem Meer' enttauchen. Er trug eine Jacke von gelbem Flanell, Und eine liljenweiße Schlafmuͤtz, Und ein abgewelktes Geſicht.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/22>, abgerufen am 28.03.2024.