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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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muß seine Federn erst ausschreiben, man muß es
anspornen u. s. w. In solcher Art haben wir
auch unsere öffentlichen Assisen, und das sind die
löschpapiernen, sächsischen Literaturzeitungen,
worin jeder Dummkopf von seines Gleichen ge¬
richtet wird, nach den Grundsätzen eines litera¬
rischen Criminalrechts, das der Abschreckungs¬
theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes
Buch bestraft. Zeigt der Verfasser desselben etwas
Geist, so ist das Verbrechen qualifizirt. Kann
er aber sein Geistesalibi beweisen, so wird die
Strafe gemildert. Freylich, bey dieser literari¬
schen Criminaljustiz ist es ebenfalls ein großes
Gebrechen, daß dem richterlichen Ermessen so
viel überlassen bleibt, um so mehr, da unsere
Bücherrichter, eben so wie Fallstaff, sich ihre
Gründe nicht abzwingen lassen, und manchmal
selbst geheime Sünder sind und voraussehen, daß
sie morgen von denselben Deliquenten gerichtet
werden, über die sie heute das Urtheil sprechen.
Die Jugend ist in unserer literarischen Criminal¬

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muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es
anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir
auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die
loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen,
worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬
richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬
riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬
theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes
Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas
Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann
er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die
Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬
ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes
Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo
viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere
Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre
Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal
ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß
ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet
werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen.
Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬

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[113/0121] muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen, worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬ richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬ riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬ theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬ ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen. Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬ 8

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/121>, abgerufen am 01.05.2024.