ist die Natur doch im Allgemeinen so schön!" Diese Worte kamen aus der gefühlvollen Brust meines Zimmergenossen, des jungen Kaufmanns. Ich ge¬ langte dadurch wieder zu meiner Werkeltags-Stim¬ mung, war jetzt im Stande, den Damen über den Sonnen-Untergang recht viel Artiges zu sagen, und sie ruhig, als wäre nichts passirt, nach ihrem Zim¬ mer zu führen. Sie erlaubten mir auch, sie noch eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde selbst drehte sich unsre Unterhaltung um die Sonne. Die Mutter äußerte: die in Nebel versinkende Sonne habe ausgesehen wie eine rothglühende Rose, die der galante Himmel herab geworfen in den weit¬ ausgebreiteten, weißen Brautschleier seiner gelieb¬ ten Erde. Die Tochter lächelte und meinte, der öftere Anblick solcher Naturerscheinungen schwäche ihren Eindruck. Die Mutter berichtigte diese falsche Meinung durch eine Stelle aus Göthes Reisebrie¬ fen, und die Rede kam auf Göthes Werke. Kei¬ ner meiner ästhetischen Collegen würde sich hier die Gelegenheit rauben lassen, über letztere ein lang
iſt die Natur doch im Allgemeinen ſo ſchoͤn!” Dieſe Worte kamen aus der gefuͤhlvollen Bruſt meines Zimmergenoſſen, des jungen Kaufmanns. Ich ge¬ langte dadurch wieder zu meiner Werkeltags-Stim¬ mung, war jetzt im Stande, den Damen uͤber den Sonnen-Untergang recht viel Artiges zu ſagen, und ſie ruhig, als waͤre nichts paſſirt, nach ihrem Zim¬ mer zu fuͤhren. Sie erlaubten mir auch, ſie noch eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde ſelbſt drehte ſich unſre Unterhaltung um die Sonne. Die Mutter aͤußerte: die in Nebel verſinkende Sonne habe ausgeſehen wie eine rothgluͤhende Roſe, die der galante Himmel herab geworfen in den weit¬ ausgebreiteten, weißen Brautſchleier ſeiner gelieb¬ ten Erde. Die Tochter laͤchelte und meinte, der oͤftere Anblick ſolcher Naturerſcheinungen ſchwaͤche ihren Eindruck. Die Mutter berichtigte dieſe falſche Meinung durch eine Stelle aus Goͤthes Reiſebrie¬ fen, und die Rede kam auf Goͤthes Werke. Kei¬ ner meiner aͤſthetiſchen Collegen wuͤrde ſich hier die Gelegenheit rauben laſſen, uͤber letztere ein lang
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iſt die Natur doch im Allgemeinen ſo ſchoͤn!” Dieſe
Worte kamen aus der gefuͤhlvollen Bruſt meines
Zimmergenoſſen, des jungen Kaufmanns. Ich ge¬
langte dadurch wieder zu meiner Werkeltags-Stim¬
mung, war jetzt im Stande, den Damen uͤber den
Sonnen-Untergang recht viel Artiges zu ſagen, und
ſie ruhig, als waͤre nichts paſſirt, nach ihrem Zim¬
mer zu fuͤhren. Sie erlaubten mir auch, ſie noch
eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde ſelbſt
drehte ſich unſre Unterhaltung um die Sonne. Die
Mutter aͤußerte: die in Nebel verſinkende Sonne
habe ausgeſehen wie eine rothgluͤhende Roſe, die
der galante Himmel herab geworfen in den weit¬
ausgebreiteten, weißen Brautſchleier ſeiner gelieb¬
ten Erde. Die Tochter laͤchelte und meinte, der
oͤftere Anblick ſolcher Naturerſcheinungen ſchwaͤche
ihren Eindruck. Die Mutter berichtigte dieſe falſche
Meinung durch eine Stelle aus Goͤthes Reiſebrie¬
fen, und die Rede kam auf Goͤthes Werke. Kei¬
ner meiner aͤſthetiſchen Collegen wuͤrde ſich hier die
Gelegenheit rauben laſſen, uͤber letztere ein lang
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/223>, abgerufen am 04.12.2024.
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