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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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großen Schranke gegenüber, hinter'm Ofen saß, mag
dort schon ein Viertel-Jahrhundert lang gesessen ha¬
ben, und ihr Denken und Fühlen ist gewiß innig
verwachsen mit allen Ecken dieses Ofens und allen
Schnitzeleien dieses Schrankes. Und Schrank und
Öfen leben, denn ein Mensch hat ihnen einen Theil
seiner Seele eingeflößt.

Nur durch solch tiefes Anschauungsleben, durch
die "Unmittelbarkeit" entstand die deutsche Mähr¬
chen-Fabel, deren Eigenthümlichkeit darin besteht,
daß nicht nur die Thiere und Pflanzen, sondern
auch ganz leblos scheinende Gegenstände sprechen und
handeln. Sinnigem, harmlosen Volke, in der stil¬
len, umfriedeten Heimlichkeit seiner niedern Berg¬
oder Waldhütten offenbarte sich das innere Leben
solcher Gegenstände, diese gewannen einen nothwen¬
digen, consequenten Charakter, eine süße Mischung
von phantastischer Laune und rein menschlicher
Gesinnung; und so sehen wir im Mährchen, wun¬
derbar und doch als wenn es sich von selbst ver¬
stände: Nähnadel und Stecknadel kommen von

großen Schranke gegenuͤber, hinter'm Ofen ſaß, mag
dort ſchon ein Viertel-Jahrhundert lang geſeſſen ha¬
ben, und ihr Denken und Fuͤhlen iſt gewiß innig
verwachſen mit allen Ecken dieſes Ofens und allen
Schnitzeleien dieſes Schrankes. Und Schrank und
Öfen leben, denn ein Menſch hat ihnen einen Theil
ſeiner Seele eingefloͤßt.

Nur durch ſolch tiefes Anſchauungsleben, durch
die “Unmittelbarkeit” entſtand die deutſche Maͤhr¬
chen-Fabel, deren Eigenthuͤmlichkeit darin beſteht,
daß nicht nur die Thiere und Pflanzen, ſondern
auch ganz leblos ſcheinende Gegenſtaͤnde ſprechen und
handeln. Sinnigem, harmloſen Volke, in der ſtil¬
len, umfriedeten Heimlichkeit ſeiner niedern Berg¬
oder Waldhuͤtten offenbarte ſich das innere Leben
ſolcher Gegenſtaͤnde, dieſe gewannen einen nothwen¬
digen, conſequenten Charakter, eine ſuͤße Miſchung
von phantaſtiſcher Laune und rein menſchlicher
Geſinnung; und ſo ſehen wir im Maͤhrchen, wun¬
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[152/0164] großen Schranke gegenuͤber, hinter'm Ofen ſaß, mag dort ſchon ein Viertel-Jahrhundert lang geſeſſen ha¬ ben, und ihr Denken und Fuͤhlen iſt gewiß innig verwachſen mit allen Ecken dieſes Ofens und allen Schnitzeleien dieſes Schrankes. Und Schrank und Öfen leben, denn ein Menſch hat ihnen einen Theil ſeiner Seele eingefloͤßt. Nur durch ſolch tiefes Anſchauungsleben, durch die “Unmittelbarkeit” entſtand die deutſche Maͤhr¬ chen-Fabel, deren Eigenthuͤmlichkeit darin beſteht, daß nicht nur die Thiere und Pflanzen, ſondern auch ganz leblos ſcheinende Gegenſtaͤnde ſprechen und handeln. Sinnigem, harmloſen Volke, in der ſtil¬ len, umfriedeten Heimlichkeit ſeiner niedern Berg¬ oder Waldhuͤtten offenbarte ſich das innere Leben ſolcher Gegenſtaͤnde, dieſe gewannen einen nothwen¬ digen, conſequenten Charakter, eine ſuͤße Miſchung von phantaſtiſcher Laune und rein menſchlicher Geſinnung; und ſo ſehen wir im Maͤhrchen, wun¬ derbar und doch als wenn es ſich von ſelbſt ver¬ ſtaͤnde: Naͤhnadel und Stecknadel kommen von

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/164>, abgerufen am 29.11.2024.