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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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den contrairen Wind, war der Ritter von der
Nadel sehr müde geworden. Er machte freilich noch
einige große Anstalten zum Gehen und bramarba¬
sirte: "Jetzt will ich den Weg zwischen die Beine
nehmen!" Doch bald klagte er, daß er sich Bla¬
sen unter die Füße gegangen, und die Welt viel
zu weitläuftig sey; und endlich, bey einem Baum¬
stamme, ließ er sich sachte niedersinken, bewegte
sein zartes Häuptlein wie ein betrübtes Lämmer¬
schwänzchen, und wehmüthig lächelnd rief er: "Da
bin ich armes Schindluderchen schon wieder ma¬
rode!"

Die Berge wurden hier noch steiler, die Tan¬
nenwälder wogten unten wie ein grünes Meer,
und am blauen Himmel oben schifften die weißen
Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch
ihre Einheit und Einfachheit gleichsam gezähmt.
Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine schrof¬
fen Uebergänge. Die Wolken, so bizarr gestaltet
sie auch zuweilen erscheinen, tragen ein weißes,
oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und

den contrairen Wind, war der Ritter von der
Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch
einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬
ſirte: „Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine
nehmen!“ Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬
ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel
zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬
ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte
ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬
ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: „Da
bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬
rode!“

Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬
nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer,
und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen
Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch
ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt.
Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬
fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet
ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes,
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[137/0149] den contrairen Wind, war der Ritter von der Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬ ſirte: „Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine nehmen!“ Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬ ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬ ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬ ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: „Da bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬ rode!“ Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬ nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer, und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬ fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes, oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/149>, abgerufen am 18.05.2024.