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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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taneität einige Galanterien mit der Peitsche über¬
langte, und schob sich alsdann gen Bovden. Die
Jünglinge aber jagten nach Nörten, und johlten
gar geistreich, und sangen gar lieblich das Rossini¬
sche Lied: "Trink Bier, liebe, liebe Lise!" Diese
Töne hörte ich noch lange in der Ferne; doch die
holden Sänger selbst verlor ich bald völlig aus
dem Gesichte, sintemal sie ihre Pferde, die im
Grunde einen deutsch-langsamen Charakter zu ha¬
ben schienen, gar entsetzlich anspornten und vor¬
wärtspeitschten. Nirgends wird die Pferdeschin¬
derey stärker getrieben als in Göttingen, und oft,
wenn ich sah, wie solch eine schweißtriefende, lahme
Kracke, für das bischen Lebensfutter, von unsern
Rauschenwasserrittern abgequält ward, oder wohl
gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬
ziehen mußte, so dachte ich auch: "O du armes
Thier, gewiß haben deine Vorältern im Paradiese
verbotenen Hafer gefressen!"

Im Wirthshause zu Nörten traf ich die bey¬
den Jünglinge wieder. Der eine verzehrte einen

taneitaͤt einige Galanterien mit der Peitſche uͤber¬
langte, und ſchob ſich alsdann gen Bovden. Die
Juͤnglinge aber jagten nach Noͤrten, und johlten
gar geiſtreich, und ſangen gar lieblich das Roſſini¬
ſche Lied: „Trink Bier, liebe, liebe Liſe!“ Dieſe
Toͤne hoͤrte ich noch lange in der Ferne; doch die
holden Saͤnger ſelbſt verlor ich bald voͤllig aus
dem Geſichte, ſintemal ſie ihre Pferde, die im
Grunde einen deutſch-langſamen Charakter zu ha¬
ben ſchienen, gar entſetzlich anſpornten und vor¬
waͤrtspeitſchten. Nirgends wird die Pferdeſchin¬
derey ſtaͤrker getrieben als in Goͤttingen, und oft,
wenn ich ſah, wie ſolch eine ſchweißtriefende, lahme
Kracke, fuͤr das bischen Lebensfutter, von unſern
Rauſchenwaſſerrittern abgequaͤlt ward, oder wohl
gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬
ziehen mußte, ſo dachte ich auch: „O du armes
Thier, gewiß haben deine Voraͤltern im Paradieſe
verbotenen Hafer gefreſſen!“

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den Juͤnglinge wieder. Der eine verzehrte einen

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[122/0134] taneitaͤt einige Galanterien mit der Peitſche uͤber¬ langte, und ſchob ſich alsdann gen Bovden. Die Juͤnglinge aber jagten nach Noͤrten, und johlten gar geiſtreich, und ſangen gar lieblich das Roſſini¬ ſche Lied: „Trink Bier, liebe, liebe Liſe!“ Dieſe Toͤne hoͤrte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Saͤnger ſelbſt verlor ich bald voͤllig aus dem Geſichte, ſintemal ſie ihre Pferde, die im Grunde einen deutſch-langſamen Charakter zu ha¬ ben ſchienen, gar entſetzlich anſpornten und vor¬ waͤrtspeitſchten. Nirgends wird die Pferdeſchin¬ derey ſtaͤrker getrieben als in Goͤttingen, und oft, wenn ich ſah, wie ſolch eine ſchweißtriefende, lahme Kracke, fuͤr das bischen Lebensfutter, von unſern Rauſchenwaſſerrittern abgequaͤlt ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fort¬ ziehen mußte, ſo dachte ich auch: „O du armes Thier, gewiß haben deine Voraͤltern im Paradieſe verbotenen Hafer gefreſſen!“ Im Wirthshauſe zu Noͤrten traf ich die bey¬ den Juͤnglinge wieder. Der eine verzehrte einen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/134>, abgerufen am 19.05.2024.