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Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.

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In deinem Haupte wird's Nacht,
Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnsinns,
Und du prahlst vor Schmerzen!
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Halsstarrig bist du wie dein Ahnherr,
Der hohe Titane, der himmlisches Feuer
Den Göttern stahl und den Menschen gab,
Und Geier-gequälet, Felsen-gefesselt,
Olympauftrotzte und trotzte und stöhnte,
Daß wir es hörten im tiefen Meer,
Und zu ihm kamen mit Trostgesang.
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du aber bist ohnmächtiger noch,
Und es wäre vernünftig, du ehrtest die Götter,
Und trügest geduldig die Last des Elends,
Und trügest geduldig so lange, so lange,
Bis Atlas selbst die Geduld verliert,
Und die schwere Welt von den Schultern abwirft
In die ewige Nacht.
So scholl der Gesang der Okeaniden,
Der schönen, mitleidigen Wasserfrau'n,
Bis lautere Wogen ihn überrauschten --
Hinter die Wolken zog sich der Mond,
Es gähnte die Nacht,
Und ich saß noch lange im Dunkeln und weinte.

In deinem Haupte wird's Nacht,
Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnſinns,
Und du prahlſt vor Schmerzen!
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Halsſtarrig biſt du wie dein Ahnherr,
Der hohe Titane, der himmliſches Feuer
Den Göttern ſtahl und den Menſchen gab,
Und Geier-gequälet, Felſen-gefeſſelt,
Olympauftrotzte und trotzte und ſtöhnte,
Daß wir es hörten im tiefen Meer,
Und zu ihm kamen mit Troſtgeſang.
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du aber biſt ohnmächtiger noch,
Und es wäre vernünftig, du ehrteſt die Götter,
Und trügeſt geduldig die Laſt des Elends,
Und trügeſt geduldig ſo lange, ſo lange,
Bis Atlas ſelbſt die Geduld verliert,
Und die ſchwere Welt von den Schultern abwirft
In die ewige Nacht.
So ſcholl der Geſang der Okeaniden,
Der ſchönen, mitleidigen Waſſerfrau'n,
Bis lautere Wogen ihn überrauſchten —
Hinter die Wolken zog ſich der Mond,
Es gähnte die Nacht,
Und ich ſaß noch lange im Dunkeln und weinte.

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[357/0365] In deinem Haupte wird's Nacht, Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnſinns, Und du prahlſt vor Schmerzen! O Thor, du Thor! du prahlender Thor! Halsſtarrig biſt du wie dein Ahnherr, Der hohe Titane, der himmliſches Feuer Den Göttern ſtahl und den Menſchen gab, Und Geier-gequälet, Felſen-gefeſſelt, Olympauftrotzte und trotzte und ſtöhnte, Daß wir es hörten im tiefen Meer, Und zu ihm kamen mit Troſtgeſang. O Thor, du Thor! du prahlender Thor! Du aber biſt ohnmächtiger noch, Und es wäre vernünftig, du ehrteſt die Götter, Und trügeſt geduldig die Laſt des Elends, Und trügeſt geduldig ſo lange, ſo lange, Bis Atlas ſelbſt die Geduld verliert, Und die ſchwere Welt von den Schultern abwirft In die ewige Nacht. So ſcholl der Geſang der Okeaniden, Der ſchönen, mitleidigen Waſſerfrau'n, Bis lautere Wogen ihn überrauſchten — Hinter die Wolken zog ſich der Mond, Es gähnte die Nacht, Und ich ſaß noch lange im Dunkeln und weinte.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/365>, abgerufen am 04.05.2024.