Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.II. Abenddämmerung. Am blassen Meeresstrande
Saß ich gedankenbekümmert und einsam. Die Sonne neigte sich tiefer, und warf Glührothe Streifen auf das Wasser, Und die weißen, weiten Wellen, Von der Fluth gedrängt, Schäumten und rauschten näher und näher -- Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen, Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen, Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen -- Mir war als hört' ich verscholl'ne Sagen, Uralte, liebliche Mährchen, Die ich einst, als Knabe, Von Nachbarskindern vernahm, Wenn wir am Sommerabend, Auf den Treppensteinen der Hausthür, Zum stillen Erzählen niederkauerten, Mit kleinen, horchenden Herzen II. Abenddämmerung. Am blaſſen Meeresſtrande
Saß ich gedankenbekümmert und einſam. Die Sonne neigte ſich tiefer, und warf Glührothe Streifen auf das Waſſer, Und die weißen, weiten Wellen, Von der Fluth gedrängt, Schäumten und rauſchten näher und näher — Ein ſeltſam Geräuſch, ein Flüſtern und Pfeifen, Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sauſen, Dazwiſchen ein wiegenliedheimliches Singen — Mir war als hört' ich verſcholl'ne Sagen, Uralte, liebliche Mährchen, Die ich einſt, als Knabe, Von Nachbarskindern vernahm, Wenn wir am Sommerabend, Auf den Treppenſteinen der Hausthür, Zum ſtillen Erzählen niederkauerten, Mit kleinen, horchenden Herzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0319" n="311"/> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Abenddämmerung.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Am blaſſen Meeresſtrande</l><lb/> <l>Saß ich gedankenbekümmert und einſam.</l><lb/> <l>Die Sonne neigte ſich tiefer, und warf</l><lb/> <l>Glührothe Streifen auf das Waſſer,</l><lb/> <l>Und die weißen, weiten Wellen,</l><lb/> <l>Von der Fluth gedrängt,</l><lb/> <l>Schäumten und rauſchten näher und näher —</l><lb/> <l>Ein ſeltſam Geräuſch, ein Flüſtern und Pfeifen,</l><lb/> <l>Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sauſen,</l><lb/> <l>Dazwiſchen ein wiegenliedheimliches Singen —</l><lb/> <l>Mir war als hört' ich verſcholl'ne Sagen,</l><lb/> <l>Uralte, liebliche Mährchen,</l><lb/> <l>Die ich einſt, als Knabe,</l><lb/> <l>Von Nachbarskindern vernahm,</l><lb/> <l>Wenn wir am Sommerabend,</l><lb/> <l>Auf den Treppenſteinen der Hausthür,</l><lb/> <l>Zum ſtillen Erzählen niederkauerten,</l><lb/> <l>Mit kleinen, horchenden Herzen</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [311/0319]
II.
Abenddämmerung.
Am blaſſen Meeresſtrande
Saß ich gedankenbekümmert und einſam.
Die Sonne neigte ſich tiefer, und warf
Glührothe Streifen auf das Waſſer,
Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Fluth gedrängt,
Schäumten und rauſchten näher und näher —
Ein ſeltſam Geräuſch, ein Flüſtern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sauſen,
Dazwiſchen ein wiegenliedheimliches Singen —
Mir war als hört' ich verſcholl'ne Sagen,
Uralte, liebliche Mährchen,
Die ich einſt, als Knabe,
Von Nachbarskindern vernahm,
Wenn wir am Sommerabend,
Auf den Treppenſteinen der Hausthür,
Zum ſtillen Erzählen niederkauerten,
Mit kleinen, horchenden Herzen
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