Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Zusammenbeugten sich die Lilienkelche; Aus allen Rosen glühten Wollustgluthen! Die Nelken wollten sich im Hauch entzünden; In sel'gen Düften schwelgten alle Blumen, Und alle weinten stille Wonnethränen, Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe! Die Schmetterlinge flatterten, die hellen Goldkäfer summten Lieblingsliedchen, Die Abendwinde flüsterten, es rauschten Die Eichen, schmelzend sang die Nachtigall -- Und zwischen all dem Flüstern, Rauschen, Singen, Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme Das welke Weib, das mir am Arme hing. "Ich kenn' Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß; Der lange Schatten ist ein guter Tropf, Er nickt und winkt zu allem was man will; Der Blaurock ist ein Engel; doch der Rothe, Mit blankem Schwert, ist Ihnen spinnefeind." Und noch viel bunt're, wunderliche Reden Schwatzt sie in einem fort, und setzte sich, Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank, Die unterm alten Eichenbaume steht. Da saßen wir beisammen, still und traurig,
Und sahn uns an, und wurden immer traur'ger. Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer, Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab. 17 *
Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche; Aus allen Roſen glühten Wolluſtgluthen! Die Nelken wollten ſich im Hauch entzünden; In ſel'gen Düften ſchwelgten alle Blumen, Und alle weinten ſtille Wonnethränen, Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe! Die Schmetterlinge flatterten, die hellen Goldkäfer ſummten Lieblingsliedchen, Die Abendwinde flüſterten, es rauſchten Die Eichen, ſchmelzend ſang die Nachtigall — Und zwiſchen all dem Flüſtern, Rauſchen, Singen, Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme Das welke Weib, das mir am Arme hing. „Ich kenn' Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß; Der lange Schatten iſt ein guter Tropf, Er nickt und winkt zu allem was man will; Der Blaurock iſt ein Engel; doch der Rothe, Mit blankem Schwert, iſt Ihnen ſpinnefeind.“ Und noch viel bunt're, wunderliche Reden Schwatzt ſie in einem fort, und ſetzte ſich, Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank, Die unterm alten Eichenbaume ſteht. Da ſaßen wir beiſammen, ſtill und traurig,
Und ſahn uns an, und wurden immer traur'ger. Die Eiche ſäuſelte wie Sterbeſeufzer, Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab. 17 *
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Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;
Aus allen Roſen glühten Wolluſtgluthen!
Die Nelken wollten ſich im Hauch entzünden;
In ſel'gen Düften ſchwelgten alle Blumen,
Und alle weinten ſtille Wonnethränen,
Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!
Die Schmetterlinge flatterten, die hellen
Goldkäfer ſummten Lieblingsliedchen,
Die Abendwinde flüſterten, es rauſchten
Die Eichen, ſchmelzend ſang die Nachtigall —
Und zwiſchen all dem Flüſtern, Rauſchen, Singen,
Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme
Das welke Weib, das mir am Arme hing.
„Ich kenn' Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß;
Der lange Schatten iſt ein guter Tropf,
Er nickt und winkt zu allem was man will;
Der Blaurock iſt ein Engel; doch der Rothe,
Mit blankem Schwert, iſt Ihnen ſpinnefeind.“
Und noch viel bunt're, wunderliche Reden
Schwatzt ſie in einem fort, und ſetzte ſich,
Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank,
Die unterm alten Eichenbaume ſteht.
Da ſaßen wir beiſammen, ſtill und traurig,
Und ſahn uns an, und wurden immer traur'ger.
Die Eiche ſäuſelte wie Sterbeſeufzer,
Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab.
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Zitationshilfe: | Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/273>, abgerufen am 23.07.2024. |