Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Und lagert draußen sich auf grünem Rasen, Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen, Spielt mit den bunten, zarten Blümelein, Horcht auf den Sang der lust'gen Vögelein, Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt. Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai, Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen! Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief: Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast; Ich habe dich durchschaut, ich hab' durchschaut Den Bau der Welt, und hab' zu viel geschaut, Und viel zu tief, und hin ist alle Freude, Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz. Ich schaue durch die steinern harten Rinden Der Menschenhäuser und der Menschenherzen, Und schau' in beiden Lug und Trug und Elend. Auf den Gesichtern les' ich die Gedanken, Viel schlimme. In der Jungfrau Scham-Erröthen Seh' ich geheime Lust begehrlich zittern; Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt' Seh' ich die bunte Schellenkappe sitzen; Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten Seh' ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht, Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus. Ich sehe durch den Grund der alten Erde, *
Und lagert draußen ſich auf grünem Raſen, Bewundert, wie die Bäume fleißig wachſen, Spielt mit den bunten, zarten Blümelein, Horcht auf den Sang der luſt'gen Vögelein, Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt. Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai, Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küſſen! Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief: Vergebens lockſt du mich, du ſchlimmer Gaſt; Ich habe dich durchſchaut, ich hab' durchſchaut Den Bau der Welt, und hab' zu viel geſchaut, Und viel zu tief, und hin iſt alle Freude, Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz. Ich ſchaue durch die ſteinern harten Rinden Der Menſchenhäuſer und der Menſchenherzen, Und ſchau' in beiden Lug und Trug und Elend. Auf den Geſichtern leſ' ich die Gedanken, Viel ſchlimme. In der Jungfrau Scham-Erröthen Seh' ich geheime Luſt begehrlich zittern; Auf dem begeiſtert ſtolzen Jünglingshaupt' Seh' ich die bunte Schellenkappe ſitzen; Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht, Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus. Ich ſehe durch den Grund der alten Erde, *
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Und lagert draußen ſich auf grünem Raſen,
Bewundert, wie die Bäume fleißig wachſen,
Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,
Horcht auf den Sang der luſt'gen Vögelein,
Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai,
Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küſſen!
Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief:
Vergebens lockſt du mich, du ſchlimmer Gaſt;
Ich habe dich durchſchaut, ich hab' durchſchaut
Den Bau der Welt, und hab' zu viel geſchaut,
Und viel zu tief, und hin iſt alle Freude,
Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.
Ich ſchaue durch die ſteinern harten Rinden
Der Menſchenhäuſer und der Menſchenherzen,
Und ſchau' in beiden Lug und Trug und Elend.
Auf den Geſichtern leſ' ich die Gedanken,
Viel ſchlimme. In der Jungfrau Scham-Erröthen
Seh' ich geheime Luſt begehrlich zittern;
Auf dem begeiſtert ſtolzen Jünglingshaupt'
Seh' ich die bunte Schellenkappe ſitzen;
Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten
Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht,
Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
Ich ſehe durch den Grund der alten Erde,
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Zitationshilfe: | Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/267>, abgerufen am 22.07.2024. |