Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; in-
sofern sie aber diss ist, ist die Einzelnheit gleichgül-
tig
, und die Frau entbehrt das Moment, sich als die-
ses
Selbst im andern zu erkennen. -- Der Bruder
aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen
überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und un-
vermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgül-
tigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit
derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vor-
handen; sondern das Moment des anerkennenden und
anerkannten einzelnen Selbsts darf hier sein Recht be-
haupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes
und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Ver-
lust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich,
und ihre Pflicht gegen ihn die höchste.

Diss Verhältniss ist zugleich die Gräntze, an der
sich die in sich beschlossene Familie auflöst, und au-
sser sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach wel-
cher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen
anderes sich kehrt, und in das Bewusstseyn der All-
gemeinheit übergeht. Der Bruder verlässt diese un-
mittelbare, elementarische
und darum eigentlich nega-
tive
Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbsthe-
wusste, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und her-
vorzubringen.

Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen
Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die
Schwester aber wird, oder die Frau bleibt der Vor-
stand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen

eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; in-
sofern sie aber diſs ist, ist die Einzelnheit gleichgül-
tig
, und die Frau entbehrt das Moment, sich als die-
ses
Selbst im andern zu erkennen. — Der Bruder
aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen
überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und un-
vermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgül-
tigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit
derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vor-
handen; sondern das Moment des anerkennenden und
anerkannten einzelnen Selbsts darf hier sein Recht be-
haupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes
und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Ver-
lust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich,
und ihre Pflicht gegen ihn die höchste.

Diſs Verhältniſs ist zugleich die Gräntze, an der
sich die in sich beschlossene Familie auflöst, und au-
ſser sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach wel-
cher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen
anderes sich kehrt, und in das Bewuſstseyn der All-
gemeinheit übergeht. Der Bruder verläſst diese un-
mittelbare, elementarische
und darum eigentlich nega-
tive
Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbsthe-
wuſste, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und her-
vorzubringen.

Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen
Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die
Schwester aber wird, oder die Frau bleibt der Vor-
stand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0506" n="397"/>
eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; in-<lb/>
sofern sie aber di&#x017F;s ist, ist die Einzelnheit <hi rendition="#i">gleichgül-<lb/>
tig</hi>, und die Frau entbehrt das Moment, sich als <hi rendition="#i">die-<lb/>
ses</hi> Selbst im andern zu erkennen. &#x2014; Der Bruder<lb/>
aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen<lb/>
überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und un-<lb/>
vermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgül-<lb/>
tigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit<lb/>
derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vor-<lb/>
handen; sondern das Moment des anerkennenden und<lb/>
anerkannten <hi rendition="#i">einzelnen Selbsts</hi> darf hier sein Recht be-<lb/>
haupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes<lb/>
und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Ver-<lb/>
lust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich,<lb/>
und ihre Pflicht gegen ihn die höchste.</p><lb/>
              <p>Di&#x017F;s Verhältni&#x017F;s ist zugleich die Gräntze, an der<lb/>
sich die in sich beschlossene Familie auflöst, und au-<lb/>
&#x017F;ser sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach wel-<lb/>
cher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen<lb/>
anderes sich kehrt, und in das Bewu&#x017F;stseyn der All-<lb/>
gemeinheit übergeht. Der Bruder verlä&#x017F;st diese <hi rendition="#i">un-<lb/>
mittelbare, elementarische</hi> und darum eigentlich <hi rendition="#i">nega-<lb/>
tive</hi> Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbsthe-<lb/>
wu&#x017F;ste, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und her-<lb/>
vorzubringen.</p><lb/>
              <p>Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen<lb/>
Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die<lb/>
Schwester aber wird, oder die Frau bleibt der Vor-<lb/>
stand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0506] eingemischt ist, ist seine Sittlichkeit nicht rein; in- sofern sie aber diſs ist, ist die Einzelnheit gleichgül- tig, und die Frau entbehrt das Moment, sich als die- ses Selbst im andern zu erkennen. — Der Bruder aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und un- vermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgül- tigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vor- handen; sondern das Moment des anerkennenden und anerkannten einzelnen Selbsts darf hier sein Recht be- haupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Ver- lust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich, und ihre Pflicht gegen ihn die höchste. Diſs Verhältniſs ist zugleich die Gräntze, an der sich die in sich beschlossene Familie auflöst, und au- ſser sich geht. Der Bruder ist die Seite, nach wel- cher ihr Geist zur Individualität wird, die gegen anderes sich kehrt, und in das Bewuſstseyn der All- gemeinheit übergeht. Der Bruder verläſst diese un- mittelbare, elementarische und darum eigentlich nega- tive Sittlichkeit der Familie, um die ihrer selbsthe- wuſste, wirkliche Sittlichkeit zu erwerben und her- vorzubringen. Er geht aus dem göttlichen Gesetz, in dessen Sphäre er lebte, zu dem menschlichen über. Die Schwester aber wird, oder die Frau bleibt der Vor- stand des Hauses und die Bewahrerin des göttlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/506
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/506>, abgerufen am 26.06.2024.