Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

zelnheit ist. Sie ist also einerseits ein Gesetz, von
dem die einzelne Individualität gedrückt wird, eine
gewaltthätige Ordnung der Welt, welche dem Ge-
setze des Herzens widerspricht; -- und andererseits
eine unter ihr leidende Menschheit, welche nicht dem
Gesetze des Herzens folgt, sondern einer fremden
Nothwendigkeit unterthan ist. -- Diese Wirklich-
keit, die der itzigen Gestalt des Bewusstseyns ge-
genüber
erscheint, ist, wie erhellt, nichts anders als
das vorhergehende entzweyte Verhältniss der Indi-
vidualität und ihrer Wahrheit, das Verhältniss ei-
ner grausamen Nothwendigkeit, von welcher jene
erdrückt wird. Für uns tritt die vorhergehende
Bewegung darum der neuen Gestalt gegenüber, weil
diese an sich aus ihr entsprungen, das Moment,
woraus sie herkommt, also nothwendig für sie ist;
ihr aber erscheint es als ein vorgefundenes, indem
sie kein Bewusstseyn über ihren Ursprung hat, und
ihr das Wesen ist, vielmehr für sich selbst oder das
negative gegen diss positive Ansich zu seyn.

Diese dem Gesetze des Herzens widersprechen-
de Nothwendigkeit, so wie das durch sie vorhan-
dene Leiden, aufzuheben, darauf ist also diese In-
dividualität gerichtet. Sie ist hiemit nicht mehr der
Leichtsinn der vorigen Gestalt, die nur die einzel-
ne Lust wollte, sondern die Ernsthaftigkeit eines
hohen Zwecks, die ihre Lust in der Darstellung
ihres vortrefflichen eigenen Wesens und in der Her-
vorbringung des Wohls der Menschheit sucht. Was

zelnheit ist. Sie ist also einerseits ein Gesetz, von
dem die einzelne Individualität gedrückt wird, eine
gewaltthätige Ordnung der Welt, welche dem Ge-
setze des Herzens widerspricht; — und andererseits
eine unter ihr leidende Menschheit, welche nicht dem
Gesetze des Herzens folgt, sondern einer fremden
Nothwendigkeit unterthan ist. — Diese Wirklich-
keit, die der itzigen Gestalt des Bewuſstseyns ge-
genüber
erscheint, ist, wie erhellt, nichts anders als
das vorhergehende entzweyte Verhältniſs der Indi-
vidualität und ihrer Wahrheit, das Verhältniſs ei-
ner grausamen Nothwendigkeit, von welcher jene
erdrückt wird. Für uns tritt die vorhergehende
Bewegung darum der neuen Gestalt gegenüber, weil
diese an sich aus ihr entsprungen, das Moment,
woraus sie herkommt, also nothwendig für sie ist;
ihr aber erscheint es als ein vorgefundenes, indem
sie kein Bewuſstseyn über ihren Ursprung hat, und
ihr das Wesen ist, vielmehr für sich selbst oder das
negative gegen diſs positive Ansich zu seyn.

Diese dem Gesetze des Herzens widersprechen-
de Nothwendigkeit, so wie das durch sie vorhan-
dene Leiden, aufzuheben, darauf ist also diese In-
dividualität gerichtet. Sie ist hiemit nicht mehr der
Leichtsinn der vorigen Gestalt, die nur die einzel-
ne Lust wollte, sondern die Ernsthaftigkeit eines
hohen Zwecks, die ihre Lust in der Darstellung
ihres vortrefflichen eigenen Wesens und in der Her-
vorbringung des Wohls der Menschheit sucht. Was

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0415" n="306"/><hi rendition="#i">zelnheit</hi> ist. Sie ist also einerseits ein Gesetz, von<lb/>
dem die einzelne Individualität gedrückt wird, eine<lb/>
gewaltthätige Ordnung der Welt, welche dem Ge-<lb/>
setze des Herzens widerspricht; &#x2014; und andererseits<lb/>
eine unter ihr leidende Menschheit, welche nicht dem<lb/>
Gesetze des Herzens folgt, sondern einer fremden<lb/>
Nothwendigkeit unterthan ist. &#x2014; Diese Wirklich-<lb/>
keit, die der itzigen Gestalt des Bewu&#x017F;stseyns <hi rendition="#i">ge-<lb/>
genüber</hi> erscheint, ist, wie erhellt, nichts anders als<lb/>
das vorhergehende entzweyte Verhältni&#x017F;s der Indi-<lb/>
vidualität und ihrer Wahrheit, das Verhältni&#x017F;s ei-<lb/>
ner grausamen Nothwendigkeit, von welcher jene<lb/>
erdrückt wird. <hi rendition="#i">Für uns</hi> tritt die vorhergehende<lb/>
Bewegung darum der neuen Gestalt gegenüber, weil<lb/>
diese an sich aus ihr entsprungen, das Moment,<lb/>
woraus sie herkommt, also nothwendig für sie ist;<lb/>
ihr aber erscheint es als ein <hi rendition="#i">vorgefundenes</hi>, indem<lb/>
sie kein Bewu&#x017F;stseyn über ihren <hi rendition="#i">Ursprung</hi> hat, und<lb/>
ihr das Wesen ist, vielmehr <hi rendition="#i">für sich</hi> selbst oder das<lb/>
negative gegen di&#x017F;s positive Ansich zu seyn.</p><lb/>
              <p>Diese dem Gesetze des Herzens widersprechen-<lb/>
de Nothwendigkeit, so wie das durch sie vorhan-<lb/>
dene Leiden, aufzuheben, darauf ist also diese In-<lb/>
dividualität gerichtet. Sie ist hiemit nicht mehr der<lb/>
Leichtsinn der vorigen Gestalt, die nur die einzel-<lb/>
ne Lust wollte, sondern die Ernsthaftigkeit eines<lb/>
hohen Zwecks, die ihre Lust in der Darstellung<lb/>
ihres <hi rendition="#i">vortrefflichen</hi> eigenen Wesens und in der Her-<lb/>
vorbringung des <hi rendition="#i">Wohls der Menschheit</hi> sucht. Was<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0415] zelnheit ist. Sie ist also einerseits ein Gesetz, von dem die einzelne Individualität gedrückt wird, eine gewaltthätige Ordnung der Welt, welche dem Ge- setze des Herzens widerspricht; — und andererseits eine unter ihr leidende Menschheit, welche nicht dem Gesetze des Herzens folgt, sondern einer fremden Nothwendigkeit unterthan ist. — Diese Wirklich- keit, die der itzigen Gestalt des Bewuſstseyns ge- genüber erscheint, ist, wie erhellt, nichts anders als das vorhergehende entzweyte Verhältniſs der Indi- vidualität und ihrer Wahrheit, das Verhältniſs ei- ner grausamen Nothwendigkeit, von welcher jene erdrückt wird. Für uns tritt die vorhergehende Bewegung darum der neuen Gestalt gegenüber, weil diese an sich aus ihr entsprungen, das Moment, woraus sie herkommt, also nothwendig für sie ist; ihr aber erscheint es als ein vorgefundenes, indem sie kein Bewuſstseyn über ihren Ursprung hat, und ihr das Wesen ist, vielmehr für sich selbst oder das negative gegen diſs positive Ansich zu seyn. Diese dem Gesetze des Herzens widersprechen- de Nothwendigkeit, so wie das durch sie vorhan- dene Leiden, aufzuheben, darauf ist also diese In- dividualität gerichtet. Sie ist hiemit nicht mehr der Leichtsinn der vorigen Gestalt, die nur die einzel- ne Lust wollte, sondern die Ernsthaftigkeit eines hohen Zwecks, die ihre Lust in der Darstellung ihres vortrefflichen eigenen Wesens und in der Her- vorbringung des Wohls der Menschheit sucht. Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/415
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/415>, abgerufen am 25.11.2024.