Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Der rohe Instinkt der selbstbewussten Vernunft
wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen
verwerfen, -- diesen andern beobachtenden Instinkt
derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen,
es auf die geistlose Weise, dass das Aeussere
Ausdruck des Innern sey, erfasst hat. Aber je
schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es
zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit
liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander
zu legen. Denn der Gedanke heisst um so schlech-
ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel-
che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber,
auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern,
die ihrer bewusste Individualität, und die Abstrac-
tion der ganz zum Dinge gewordene Aeusserlich-
keit, -- jenes innre Seyn des Geistes als festes geist-
loses Seyn aufgefasst, eben solchem Seyn entgegen-
gesetzt. -- Damit scheint aber auch die beobach-
tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu
haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und
sich überschlagen muss; denn erst das ganz schlechte
hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich
zu verkehren. -- Wie von dem jüdischen Volke ge-
sagt werden kann, dass es gerade darum, weil es
unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das
Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und
für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es
sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es
macht sich durch diese Entäusserung ein höheres

Der rohe Instinkt der selbstbewuſsten Vernunft
wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen
verwerfen, — diesen andern beobachtenden Instinkt
derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen,
es auf die geistlose Weise, daſs das Aeuſsere
Ausdruck des Innern sey, erfaſst hat. Aber je
schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es
zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit
liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander
zu legen. Denn der Gedanke heiſst um so schlech-
ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel-
che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber,
auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern,
die ihrer bewuſste Individualität, und die Abstrac-
tion der ganz zum Dinge gewordene Aeuſserlich-
keit, — jenes innre Seyn des Geistes als festes geist-
loses Seyn aufgefaſst, eben solchem Seyn entgegen-
geſetzt. — Damit scheint aber auch die beobach-
tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu
haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und
sich überſchlagen muſs; denn erst das ganz schlechte
hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich
zu verkehren. — Wie von dem jüdischen Volke ge-
sagt werden kann, daſs es gerade darum, weil es
unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das
Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und
für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es
sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es
macht sich durch diese Entäuſserung ein höheres

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0387" n="278"/>
              <p>Der rohe Instinkt der selbstbewu&#x017F;sten Vernunft<lb/>
wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen<lb/>
verwerfen, &#x2014; diesen andern beobachtenden Instinkt<lb/>
derselben, der zur Ahndung <hi rendition="#i">des Erkennens</hi> gediehen,<lb/>
es auf die geistlose Weise, da&#x017F;s das Aeu&#x017F;sere<lb/>
Ausdruck des Innern sey, erfa&#x017F;st hat. Aber je<lb/>
schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es<lb/>
zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit<lb/>
liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander<lb/>
zu legen. Denn der Gedanke hei&#x017F;st um so schlech-<lb/>
ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel-<lb/>
che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber,<lb/>
auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern,<lb/>
die ihrer bewu&#x017F;ste Individualität, und die Abstrac-<lb/>
tion der ganz zum <hi rendition="#i">Dinge</hi> gewordene Aeu&#x017F;serlich-<lb/>
keit, &#x2014; jenes innre Seyn des Geistes als festes geist-<lb/>
loses Seyn aufgefa&#x017F;st, eben solchem Seyn entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzt. &#x2014; Damit scheint aber auch die beobach-<lb/>
tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu<lb/>
haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und<lb/>
sich über&#x017F;chlagen mu&#x017F;s; denn erst das ganz schlechte<lb/>
hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich<lb/>
zu verkehren. &#x2014; Wie von dem jüdischen Volke ge-<lb/>
sagt werden kann, da&#x017F;s es gerade darum, weil es<lb/>
unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das<lb/>
Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und<lb/>
für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es<lb/>
sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es<lb/>
macht sich durch diese Entäu&#x017F;serung ein höheres<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0387] Der rohe Instinkt der selbstbewuſsten Vernunft wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen verwerfen, — diesen andern beobachtenden Instinkt derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen, es auf die geistlose Weise, daſs das Aeuſsere Ausdruck des Innern sey, erfaſst hat. Aber je schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander zu legen. Denn der Gedanke heiſst um so schlech- ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel- che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber, auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern, die ihrer bewuſste Individualität, und die Abstrac- tion der ganz zum Dinge gewordene Aeuſserlich- keit, — jenes innre Seyn des Geistes als festes geist- loses Seyn aufgefaſst, eben solchem Seyn entgegen- geſetzt. — Damit scheint aber auch die beobach- tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und sich überſchlagen muſs; denn erst das ganz schlechte hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich zu verkehren. — Wie von dem jüdischen Volke ge- sagt werden kann, daſs es gerade darum, weil es unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es macht sich durch diese Entäuſserung ein höheres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/387
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/387>, abgerufen am 18.05.2024.