Der rohe Instinkt der selbstbewussten Vernunft wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen verwerfen, -- diesen andern beobachtenden Instinkt derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen, es auf die geistlose Weise, dass das Aeussere Ausdruck des Innern sey, erfasst hat. Aber je schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander zu legen. Denn der Gedanke heisst um so schlech- ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel- che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber, auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern, die ihrer bewusste Individualität, und die Abstrac- tion der ganz zum Dinge gewordene Aeusserlich- keit, -- jenes innre Seyn des Geistes als festes geist- loses Seyn aufgefasst, eben solchem Seyn entgegen- gesetzt. -- Damit scheint aber auch die beobach- tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und sich überschlagen muss; denn erst das ganz schlechte hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich zu verkehren. -- Wie von dem jüdischen Volke ge- sagt werden kann, dass es gerade darum, weil es unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es macht sich durch diese Entäusserung ein höheres
Der rohe Instinkt der selbstbewuſsten Vernunft wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen verwerfen, — diesen andern beobachtenden Instinkt derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen, es auf die geistlose Weise, daſs das Aeuſsere Ausdruck des Innern sey, erfaſst hat. Aber je schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander zu legen. Denn der Gedanke heiſst um so schlech- ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel- che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber, auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern, die ihrer bewuſste Individualität, und die Abstrac- tion der ganz zum Dinge gewordene Aeuſserlich- keit, — jenes innre Seyn des Geistes als festes geist- loses Seyn aufgefaſst, eben solchem Seyn entgegen- geſetzt. — Damit scheint aber auch die beobach- tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und sich überſchlagen muſs; denn erst das ganz schlechte hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich zu verkehren. — Wie von dem jüdischen Volke ge- sagt werden kann, daſs es gerade darum, weil es unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es macht sich durch diese Entäuſserung ein höheres
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0387"n="278"/><p>Der rohe Instinkt der selbstbewuſsten Vernunft<lb/>
wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen<lb/>
verwerfen, — diesen andern beobachtenden Instinkt<lb/>
derselben, der zur Ahndung <hirendition="#i">des Erkennens</hi> gediehen,<lb/>
es auf die geistlose Weise, daſs das Aeuſsere<lb/>
Ausdruck des Innern sey, erfaſst hat. Aber je<lb/>
schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es<lb/>
zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit<lb/>
liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander<lb/>
zu legen. Denn der Gedanke heiſst um so schlech-<lb/>
ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel-<lb/>
che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber,<lb/>
auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern,<lb/>
die ihrer bewuſste Individualität, und die Abstrac-<lb/>
tion der ganz zum <hirendition="#i">Dinge</hi> gewordene Aeuſserlich-<lb/>
keit, — jenes innre Seyn des Geistes als festes geist-<lb/>
loses Seyn aufgefaſst, eben solchem Seyn entgegen-<lb/>
geſetzt. — Damit scheint aber auch die beobach-<lb/>
tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu<lb/>
haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und<lb/>
sich überſchlagen muſs; denn erst das ganz schlechte<lb/>
hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich<lb/>
zu verkehren. — Wie von dem jüdischen Volke ge-<lb/>
sagt werden kann, daſs es gerade darum, weil es<lb/>
unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das<lb/>
Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und<lb/>
für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es<lb/>
sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es<lb/>
macht sich durch diese Entäuſserung ein höheres<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[278/0387]
Der rohe Instinkt der selbstbewuſsten Vernunft
wird eine solche Schädelwissenschaft unbesehen
verwerfen, — diesen andern beobachtenden Instinkt
derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen,
es auf die geistlose Weise, daſs das Aeuſsere
Ausdruck des Innern sey, erfaſst hat. Aber je
schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es
zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit
liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinander
zu legen. Denn der Gedanke heiſst um so schlech-
ter, je reiner und leerer die Abstraction ist, wel-
che ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber,
auf den es hier ankömmt, hat zu seinen Gliedern,
die ihrer bewuſste Individualität, und die Abstrac-
tion der ganz zum Dinge gewordene Aeuſserlich-
keit, — jenes innre Seyn des Geistes als festes geist-
loses Seyn aufgefaſst, eben solchem Seyn entgegen-
geſetzt. — Damit scheint aber auch die beobach-
tende Vernunft in der That ihre Spitze erreicht zu
haben, von welcher sie sich selbst verlassen, und
sich überſchlagen muſs; denn erst das ganz schlechte
hat die unmittelbare Nothwendigkeit an sich, sich
zu verkehren. — Wie von dem jüdischen Volke ge-
sagt werden kann, daſs es gerade darum, weil es
unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das
Verworfenste sey, und gewesen sey, was es an und
für sich seyn sollte, diese Selbstwesenheit ist es
sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; es
macht sich durch diese Entäuſserung ein höheres
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/387>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.