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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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neuen Elemente, in dem gewordenen Sinne
entwickeln und Gestaltung geben.

Indem einerseits die erste Erscheinung der
neuen Welt nur erst das in seine Einfachheit
verhüllte Ganze oder sein allgemeiner Grund
ist, so ist dem Bewusstseyn dagegen der Reich-
thum des vorhergehenden Daseyns noch in der
Erinnerung gegenwärtig. Es vermisst an der
neu erscheinenden Gestalt die Ausbreitung und
Besonderung des Inhalts; noch mehr aber ver-
misst es die Ausbildung der Form, wodurch
die Unterschiede mit Sicherheit bestimmt und
in ihre festen Verhältnisse geordnet sind. Ohne
diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der
allgemeinen Verständlichkeit, und hat den
Schein, ein esoterisches Besitzthum einiger Ein-
zelnen zu seyn; -- ein esoterisches Besitzthum:
denn sie ist nur erst in ihrem Begriffe oder ihr
Innres vorhanden; einiger Einzelnen: denn
ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr Da-
seyn zum Einzelnen. Erst was vollkommen be-
stimmt ist, ist zugleich exoterisch, begreifflich,
und fähig, gelernt und das Eigenthum Aller zu
seyn. Die verständige Form der Wissenschaft
ist der Allen dargebotene und für Alle gleich-
gemachte Weg zu ihr, und durch den Verstand
zum vernünftigen Wissen zu gelangen ist die

neuen Elemente, in dem gewordenen Sinne
entwickeln und Geſtaltung geben.

Indem einerſeits die erſte Erſcheinung der
neuen Welt nur erſt das in ſeine Einfachheit
verhüllte Ganze oder ſein allgemeiner Grund
iſt, ſo iſt dem Bewuſstſeyn dagegen der Reich-
thum des vorhergehenden Daſeyns noch in der
Erinnerung gegenwärtig. Es vermiſst an der
neu erſcheinenden Geſtalt die Ausbreitung und
Beſonderung des Inhalts; noch mehr aber ver-
miſst es die Ausbildung der Form, wodurch
die Unterſchiede mit Sicherheit beſtimmt und
in ihre feſten Verhältniſſe geordnet ſind. Ohne
dieſe Ausbildung entbehrt die Wiſſenſchaft der
allgemeinen Verſtändlichkeit, und hat den
Schein, ein eſoteriſches Beſitzthum einiger Ein-
zelnen zu ſeyn; — ein eſoteriſches Beſitzthum:
denn ſie iſt nur erſt in ihrem Begriffe oder ihr
Innres vorhanden; einiger Einzelnen: denn
ihre unausgebreitete Erſcheinung macht ihr Da-
ſeyn zum Einzelnen. Erſt was vollkommen be-
ſtimmt iſt, iſt zugleich exoteriſch, begreifflich,
und fähig, gelernt und das Eigenthum Aller zu
ſeyn. Die verſtändige Form der Wiſſenſchaft
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[XV/0030] neuen Elemente, in dem gewordenen Sinne entwickeln und Geſtaltung geben. Indem einerſeits die erſte Erſcheinung der neuen Welt nur erſt das in ſeine Einfachheit verhüllte Ganze oder ſein allgemeiner Grund iſt, ſo iſt dem Bewuſstſeyn dagegen der Reich- thum des vorhergehenden Daſeyns noch in der Erinnerung gegenwärtig. Es vermiſst an der neu erſcheinenden Geſtalt die Ausbreitung und Beſonderung des Inhalts; noch mehr aber ver- miſst es die Ausbildung der Form, wodurch die Unterſchiede mit Sicherheit beſtimmt und in ihre feſten Verhältniſſe geordnet ſind. Ohne dieſe Ausbildung entbehrt die Wiſſenſchaft der allgemeinen Verſtändlichkeit, und hat den Schein, ein eſoteriſches Beſitzthum einiger Ein- zelnen zu ſeyn; — ein eſoteriſches Beſitzthum: denn ſie iſt nur erſt in ihrem Begriffe oder ihr Innres vorhanden; einiger Einzelnen: denn ihre unausgebreitete Erſcheinung macht ihr Da- ſeyn zum Einzelnen. Erſt was vollkommen be- ſtimmt iſt, iſt zugleich exoteriſch, begreifflich, und fähig, gelernt und das Eigenthum Aller zu ſeyn. Die verſtändige Form der Wiſſenſchaft iſt der Allen dargebotene und für Alle gleich- gemachte Weg zu ihr, und durch den Verſtand zum vernünftigen Wiſſen zu gelangen iſt die

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/30>, abgerufen am 24.04.2024.