Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Versicherungen über das Wahre -- kann nicht
für die Art und Weise gelten, in der die philo-
sophische Wahrheit darzustellen sey. -- Auch
weil die Philosophie wesentlich im Elemente der
Allgemeinheit ist, die das Besondere in sich
schliesst, so findet bey ihr mehr als bey andern
Wissenschafften der Schein statt, als ob in dem
Zwecke oder den letzten Resultaten, die Sache
selbst und sogar in ihrem vollkommenen Wesen
ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausfüh-
rung eigentlich das unwesentliche sey. In der
allgemeinen Vorstellung hingegen, zum Beyspiel
was Anatomie sey, etwa die Kenntniss der Thei-
le des Körpers nach ihrem unlebendigen Da-
seyn betrachtet, ist man überzeugt, die Sache
selbst, den Inhalt dieser Wissenschafft, noch nicht
zu besitzen, sondern ausserdem um das Beson-
dere sich bemühen zu müssen. -- Ferner ist bey
einem solchen Aggregate von Kenntnissen, das
den Nahmen Wissenschafft nicht mit Recht führt,
eine Conversation über Zweck und dergleichen
Allgemeinheiten nicht von der historischen und
begrifflosen Weise verschieden, worin von dem
Inhalte selbst, diesen Nerven, Muskeln und so
fort, gesprochen wird. Bey der Philosophie
hingegen würde die Ungleichheit entstehen,
dass von einer solchen Weise Gebrauch gemacht,

Verſicherungen über das Wahre — kann nicht
für die Art und Weiſe gelten, in der die philo-
ſophiſche Wahrheit darzuſtellen ſey. — Auch
weil die Philoſophie weſentlich im Elemente der
Allgemeinheit iſt, die das Beſondere in ſich
ſchlieſst, ſo findet bey ihr mehr als bey andern
Wiſſenſchafften der Schein ſtatt, als ob in dem
Zwecke oder den letzten Reſultaten, die Sache
ſelbſt und ſogar in ihrem vollkommenen Weſen
ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausfüh-
rung eigentlich das unweſentliche ſey. In der
allgemeinen Vorſtellung hingegen, zum Beyſpiel
was Anatomie ſey, etwa die Kenntniſs der Thei-
le des Körpers nach ihrem unlebendigen Da-
ſeyn betrachtet, iſt man überzeugt, die Sache
ſelbſt, den Inhalt dieſer Wiſſenſchafft, noch nicht
zu beſitzen, ſondern auſserdem um das Beſon-
dere ſich bemühen zu müſſen. — Ferner iſt bey
einem ſolchen Aggregate von Kenntniſſen, das
den Nahmen Wiſſenſchafft nicht mit Recht führt,
eine Converſation über Zweck und dergleichen
Allgemeinheiten nicht von der hiſtoriſchen und
begriffloſen Weiſe verſchieden, worin von dem
Inhalte ſelbſt, dieſen Nerven, Muskeln und ſo
fort, geſprochen wird. Bey der Philoſophie
hingegen würde die Ungleichheit entſtehen,
daſs von einer ſolchen Weiſe Gebrauch gemacht,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="II"/>
Ver&#x017F;icherungen über das Wahre &#x2014; kann nicht<lb/>
für die Art und Wei&#x017F;e gelten, in der die philo-<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;che Wahrheit darzu&#x017F;tellen &#x017F;ey. &#x2014; Auch<lb/>
weil die Philo&#x017F;ophie we&#x017F;entlich im Elemente der<lb/>
Allgemeinheit i&#x017F;t, die das Be&#x017F;ondere in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;st, &#x017F;o findet bey ihr mehr als bey andern<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften der Schein &#x017F;tatt, als ob in dem<lb/>
Zwecke oder den letzten Re&#x017F;ultaten, die Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;ogar in ihrem vollkommenen We&#x017F;en<lb/>
ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausfüh-<lb/>
rung eigentlich das unwe&#x017F;entliche &#x017F;ey. In der<lb/>
allgemeinen Vor&#x017F;tellung hingegen, zum Bey&#x017F;piel<lb/>
was Anatomie &#x017F;ey, etwa die Kenntni&#x017F;s der Thei-<lb/>
le des Körpers nach ihrem unlebendigen Da-<lb/>
&#x017F;eyn betrachtet, i&#x017F;t man überzeugt, die Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, den Inhalt die&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft, noch nicht<lb/>
zu be&#x017F;itzen, &#x017F;ondern au&#x017F;serdem um das Be&#x017F;on-<lb/>
dere &#x017F;ich bemühen zu mü&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Ferner i&#x017F;t bey<lb/>
einem &#x017F;olchen Aggregate von Kenntni&#x017F;&#x017F;en, das<lb/>
den Nahmen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft nicht mit Recht führt,<lb/>
eine Conver&#x017F;ation über Zweck und dergleichen<lb/>
Allgemeinheiten nicht von der hi&#x017F;tori&#x017F;chen und<lb/>
begrifflo&#x017F;en Wei&#x017F;e ver&#x017F;chieden, worin von dem<lb/>
Inhalte &#x017F;elb&#x017F;t, die&#x017F;en Nerven, Muskeln und &#x017F;o<lb/>
fort, ge&#x017F;prochen wird. Bey der Philo&#x017F;ophie<lb/>
hingegen würde die Ungleichheit ent&#x017F;tehen,<lb/>
da&#x017F;s von einer &#x017F;olchen Wei&#x017F;e Gebrauch gemacht,<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[II/0017] Verſicherungen über das Wahre — kann nicht für die Art und Weiſe gelten, in der die philo- ſophiſche Wahrheit darzuſtellen ſey. — Auch weil die Philoſophie weſentlich im Elemente der Allgemeinheit iſt, die das Beſondere in ſich ſchlieſst, ſo findet bey ihr mehr als bey andern Wiſſenſchafften der Schein ſtatt, als ob in dem Zwecke oder den letzten Reſultaten, die Sache ſelbſt und ſogar in ihrem vollkommenen Weſen ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausfüh- rung eigentlich das unweſentliche ſey. In der allgemeinen Vorſtellung hingegen, zum Beyſpiel was Anatomie ſey, etwa die Kenntniſs der Thei- le des Körpers nach ihrem unlebendigen Da- ſeyn betrachtet, iſt man überzeugt, die Sache ſelbſt, den Inhalt dieſer Wiſſenſchafft, noch nicht zu beſitzen, ſondern auſserdem um das Beſon- dere ſich bemühen zu müſſen. — Ferner iſt bey einem ſolchen Aggregate von Kenntniſſen, das den Nahmen Wiſſenſchafft nicht mit Recht führt, eine Converſation über Zweck und dergleichen Allgemeinheiten nicht von der hiſtoriſchen und begriffloſen Weiſe verſchieden, worin von dem Inhalte ſelbſt, dieſen Nerven, Muskeln und ſo fort, geſprochen wird. Bey der Philoſophie hingegen würde die Ungleichheit entſtehen, daſs von einer ſolchen Weiſe Gebrauch gemacht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/17
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. II. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/17>, abgerufen am 19.04.2024.