Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Kapitel. Die absolute Idee.
dern sie allein vor sich zu haben, und was in ihnen
immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen. -- Die Me-
thode des absoluten Erkennens ist insofern analytisch.
Daß sie die weitere Bestimmung ihres anfänglichen All-
gemeinen ganz allein in ihm findet, ist die absolute
Objectivität des Begriffes, deren Gewißheit sie ist. --
Sie ist aber ebensosehr synthetisch, indem ihr Ge-
genstand, unmittelbar als einfaches allgemeines
bestimmt, durch die Bestimmtheit, die er in seiner Un-
mittelbarkeit und Allgemeinheit selbst hat, als ein An-
deres
sich zeigt. Diese Beziehung eines Verschiede-
nen, die er so in sich ist, ist jedoch das nicht mehr, was
als die Synthese beym endlichen Erkennen gemeynt ist;
schon durch seine ebensosehr analytische Bestimmung
überhaupt, daß sie die Beziehung im Begriffe ist, un-
terscheidet sie sich völlig von diesem Synthetischen.

Dieses so sehr synthetische als analytische Moment
des Urtheils, wodurch das anfängliche Allgemeine
aus ihm selbst, als das Andere seiner sich bestimmt,
ist das Dialektische zu nennen. Die Dialektik
ist eine derjenigen alten Wissenschaften, welche in der
Metaphysik der Modernen, und dann überhaupt durch
die Popular-Philosophie sowohl der Alten als der Neuern,
am meisten verkannt worden. Von Plato sagt Dio-
genes Laertius, daß wie Thales der Urheber der Natur-
philosophie, Sokrates der Moralphilosophie, so sey Pla-
to der Urheber der dritten zur Philosophie gehörigen
Wissenschaft, der Dialektik gewesen; -- ein Ver-
dienst, das ihm vom Alterthume hiemit als das Höchste
angerechnet worden, das aber von solchen oft gänzlich
unbeachtet bleibt, die ihn am meisten im Munde führen.
Man hat die Dialektik oft als eine Kunst betrachtet,
als ob sie auf einem subjectiven Talente beruhe, und
nicht der Objectivität des Begriffes angehöre. Welche

Ge-

III. Kapitel. Die abſolute Idee.
dern ſie allein vor ſich zu haben, und was in ihnen
immanent iſt, zum Bewußtſeyn zu bringen. — Die Me-
thode des abſoluten Erkennens iſt inſofern analytiſch.
Daß ſie die weitere Beſtimmung ihres anfaͤnglichen All-
gemeinen ganz allein in ihm findet, iſt die abſolute
Objectivitaͤt des Begriffes, deren Gewißheit ſie iſt. —
Sie iſt aber ebenſoſehr ſynthetiſch, indem ihr Ge-
genſtand, unmittelbar als einfaches allgemeines
beſtimmt, durch die Beſtimmtheit, die er in ſeiner Un-
mittelbarkeit und Allgemeinheit ſelbſt hat, als ein An-
deres
ſich zeigt. Dieſe Beziehung eines Verſchiede-
nen, die er ſo in ſich iſt, iſt jedoch das nicht mehr, was
als die Syntheſe beym endlichen Erkennen gemeynt iſt;
ſchon durch ſeine ebenſoſehr analytiſche Beſtimmung
uͤberhaupt, daß ſie die Beziehung im Begriffe iſt, un-
terſcheidet ſie ſich voͤllig von dieſem Synthetiſchen.

Dieſes ſo ſehr ſynthetiſche als analytiſche Moment
des Urtheils, wodurch das anfaͤngliche Allgemeine
aus ihm ſelbſt, als das Andere ſeiner ſich beſtimmt,
iſt das Dialektiſche zu nennen. Die Dialektik
iſt eine derjenigen alten Wiſſenſchaften, welche in der
Metaphyſik der Modernen, und dann uͤberhaupt durch
die Popular-Philoſophie ſowohl der Alten als der Neuern,
am meiſten verkannt worden. Von Plato ſagt Dio-
genes Laërtius, daß wie Thales der Urheber der Natur-
philoſophie, Sokrates der Moralphiloſophie, ſo ſey Pla-
to der Urheber der dritten zur Philoſophie gehoͤrigen
Wiſſenſchaft, der Dialektik geweſen; — ein Ver-
dienſt, das ihm vom Alterthume hiemit als das Hoͤchſte
angerechnet worden, das aber von ſolchen oft gaͤnzlich
unbeachtet bleibt, die ihn am meiſten im Munde fuͤhren.
Man hat die Dialektik oft als eine Kunſt betrachtet,
als ob ſie auf einem ſubjectiven Talente beruhe, und
nicht der Objectivitaͤt des Begriffes angehoͤre. Welche

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0399" n="381"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Kapitel. Die ab&#x017F;olute Idee</hi>.</fw><lb/>
dern &#x017F;ie allein vor &#x017F;ich zu haben, und was in ihnen<lb/>
immanent i&#x017F;t, zum Bewußt&#x017F;eyn zu bringen. &#x2014; Die Me-<lb/>
thode des ab&#x017F;oluten Erkennens i&#x017F;t in&#x017F;ofern <hi rendition="#g">analyti&#x017F;ch</hi>.<lb/>
Daß &#x017F;ie die weitere Be&#x017F;timmung ihres anfa&#x0364;nglichen All-<lb/>
gemeinen ganz allein in ihm <hi rendition="#g">findet</hi>, i&#x017F;t die ab&#x017F;olute<lb/>
Objectivita&#x0364;t des Begriffes, deren Gewißheit &#x017F;ie i&#x017F;t. &#x2014;<lb/>
Sie i&#x017F;t aber eben&#x017F;o&#x017F;ehr <hi rendition="#g">&#x017F;yntheti&#x017F;ch</hi>, indem ihr Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand, unmittelbar als <hi rendition="#g">einfaches allgemeines</hi><lb/>
be&#x017F;timmt, durch die Be&#x017F;timmtheit, die er in &#x017F;einer Un-<lb/>
mittelbarkeit und Allgemeinheit &#x017F;elb&#x017F;t hat, als ein <hi rendition="#g">An-<lb/>
deres</hi> &#x017F;ich zeigt. Die&#x017F;e Beziehung eines Ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen, die er &#x017F;o in &#x017F;ich i&#x017F;t, i&#x017F;t jedoch das nicht mehr, was<lb/>
als die Synthe&#x017F;e beym endlichen Erkennen gemeynt i&#x017F;t;<lb/>
&#x017F;chon durch &#x017F;eine eben&#x017F;o&#x017F;ehr analyti&#x017F;che Be&#x017F;timmung<lb/>
u&#x0364;berhaupt, daß &#x017F;ie die Beziehung im <hi rendition="#g">Begriffe</hi> i&#x017F;t, un-<lb/>
ter&#x017F;cheidet &#x017F;ie &#x017F;ich vo&#x0364;llig von die&#x017F;em Syntheti&#x017F;chen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;yntheti&#x017F;che als analyti&#x017F;che Moment<lb/>
des <hi rendition="#g">Urtheils</hi>, wodurch das anfa&#x0364;ngliche Allgemeine<lb/>
aus ihm &#x017F;elb&#x017F;t, als das <hi rendition="#g">Andere &#x017F;einer</hi> &#x017F;ich be&#x017F;timmt,<lb/>
i&#x017F;t das <hi rendition="#g">Dialekti&#x017F;che</hi> zu nennen. Die <hi rendition="#g">Dialektik</hi><lb/>
i&#x017F;t eine derjenigen alten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche in der<lb/>
Metaphy&#x017F;ik der Modernen, und dann u&#x0364;berhaupt durch<lb/>
die Popular-Philo&#x017F;ophie &#x017F;owohl der Alten als der Neuern,<lb/>
am mei&#x017F;ten verkannt worden. Von <hi rendition="#g">Plato</hi> &#x017F;agt Dio-<lb/>
genes Laërtius, daß wie Thales der Urheber der Natur-<lb/>
philo&#x017F;ophie, Sokrates der Moralphilo&#x017F;ophie, &#x017F;o &#x017F;ey Pla-<lb/>
to der Urheber der dritten zur Philo&#x017F;ophie geho&#x0364;rigen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, der <hi rendition="#g">Dialektik</hi> gewe&#x017F;en; &#x2014; ein Ver-<lb/>
dien&#x017F;t, das ihm vom Alterthume hiemit als das Ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
angerechnet worden, das aber von &#x017F;olchen oft ga&#x0364;nzlich<lb/>
unbeachtet bleibt, die ihn am mei&#x017F;ten im Munde fu&#x0364;hren.<lb/>
Man hat die Dialektik oft als eine <hi rendition="#g">Kun&#x017F;t</hi> betrachtet,<lb/>
als ob &#x017F;ie auf einem &#x017F;ubjectiven <hi rendition="#g">Talente</hi> beruhe, und<lb/>
nicht der Objectivita&#x0364;t des Begriffes angeho&#x0364;re. Welche<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0399] III. Kapitel. Die abſolute Idee. dern ſie allein vor ſich zu haben, und was in ihnen immanent iſt, zum Bewußtſeyn zu bringen. — Die Me- thode des abſoluten Erkennens iſt inſofern analytiſch. Daß ſie die weitere Beſtimmung ihres anfaͤnglichen All- gemeinen ganz allein in ihm findet, iſt die abſolute Objectivitaͤt des Begriffes, deren Gewißheit ſie iſt. — Sie iſt aber ebenſoſehr ſynthetiſch, indem ihr Ge- genſtand, unmittelbar als einfaches allgemeines beſtimmt, durch die Beſtimmtheit, die er in ſeiner Un- mittelbarkeit und Allgemeinheit ſelbſt hat, als ein An- deres ſich zeigt. Dieſe Beziehung eines Verſchiede- nen, die er ſo in ſich iſt, iſt jedoch das nicht mehr, was als die Syntheſe beym endlichen Erkennen gemeynt iſt; ſchon durch ſeine ebenſoſehr analytiſche Beſtimmung uͤberhaupt, daß ſie die Beziehung im Begriffe iſt, un- terſcheidet ſie ſich voͤllig von dieſem Synthetiſchen. Dieſes ſo ſehr ſynthetiſche als analytiſche Moment des Urtheils, wodurch das anfaͤngliche Allgemeine aus ihm ſelbſt, als das Andere ſeiner ſich beſtimmt, iſt das Dialektiſche zu nennen. Die Dialektik iſt eine derjenigen alten Wiſſenſchaften, welche in der Metaphyſik der Modernen, und dann uͤberhaupt durch die Popular-Philoſophie ſowohl der Alten als der Neuern, am meiſten verkannt worden. Von Plato ſagt Dio- genes Laërtius, daß wie Thales der Urheber der Natur- philoſophie, Sokrates der Moralphiloſophie, ſo ſey Pla- to der Urheber der dritten zur Philoſophie gehoͤrigen Wiſſenſchaft, der Dialektik geweſen; — ein Ver- dienſt, das ihm vom Alterthume hiemit als das Hoͤchſte angerechnet worden, das aber von ſolchen oft gaͤnzlich unbeachtet bleibt, die ihn am meiſten im Munde fuͤhren. Man hat die Dialektik oft als eine Kunſt betrachtet, als ob ſie auf einem ſubjectiven Talente beruhe, und nicht der Objectivitaͤt des Begriffes angehoͤre. Welche Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/399
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/399>, abgerufen am 22.11.2024.