Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Idee.
haben. Das Höchste, was sie nach der Seite dieser
Endlichkeit erreichen, ist die äussere Zweckmässigkeit.
Daß die wirklichen Dinge mit der Idee nicht congruiren,
ist die Seite ihrer Endlichkeit, Unwahrheit, nach
welcher sie Objecte, jedes nach seiner verschiedenen
Sphäre, und in den Verhältnissen der Objectivität, me-
chanisch, chemisch oder durch einen äusserlichen Zweck
bestimmt ist. Daß die Idee ihre Realität nicht vollkom-
men durchgearbeitet, sie unvollständig dem Begriffe un-
terworfen hat, davon beruht die Möglichkeit darauf, daß
sie selbst einen beschränkten Inhalt hat, daß sie,
so wesentlich sie Einheit des Begriffs und der Realität,
eben so wesentlich auch deren Unterschied ist; denn nur
das Object ist die unmittelbare, d. h. nur an sich seyen-
de Einheit. Wenn aber ein Gegenstand z. B. der Staat
seiner Idee gar nicht angemessen, das heißt, vielmehr
gar nicht die Idee des Staates wäre, wenn seine Reali-
tät, welche die selbstbewußten Individuen ist, dem Be-
griffe ganz nicht entspräche, so hätten seine Seele und
sein Leib sich getrennt; jene entflöhe in die abgeschiede-
nen Regionen des Gedankens, diese wäre in die einzel-
nen Individualitäten zerfallen; aber indem der Begriff
des Staats so wesentlich ihre Natur ausmacht, so ist er
als ein so mächtiger Trieb in ihnen, daß sie ihn, sey es
auch nur in der Form äusserer Zweckmässigkeit in Reali-
tät zu versetzen oder ihn so sich gefallen zu lassen ge-
drungen sind, oder sie müßten zu Grunde gehen. Der
schlechteste Staat, dessen Realität dem Begriffe am we-
nigsten entspricht, insofern er noch existirt, ist er noch
Idee, die Individuen gehorchen noch einem Machtha-
benden Begriffe.

Die Idee hat aber nicht nur den allgemeinern Sinn
des wahrhaften Seyns, der Einheit von Begriff
und Realität, sondern den bestimmtern von subjecti-

vem

Idee.
haben. Das Hoͤchſte, was ſie nach der Seite dieſer
Endlichkeit erreichen, iſt die aͤuſſere Zweckmaͤſſigkeit.
Daß die wirklichen Dinge mit der Idee nicht congruiren,
iſt die Seite ihrer Endlichkeit, Unwahrheit, nach
welcher ſie Objecte, jedes nach ſeiner verſchiedenen
Sphaͤre, und in den Verhaͤltniſſen der Objectivitaͤt, me-
chaniſch, chemiſch oder durch einen aͤuſſerlichen Zweck
beſtimmt iſt. Daß die Idee ihre Realitaͤt nicht vollkom-
men durchgearbeitet, ſie unvollſtaͤndig dem Begriffe un-
terworfen hat, davon beruht die Moͤglichkeit darauf, daß
ſie ſelbſt einen beſchraͤnkten Inhalt hat, daß ſie,
ſo weſentlich ſie Einheit des Begriffs und der Realitaͤt,
eben ſo weſentlich auch deren Unterſchied iſt; denn nur
das Object iſt die unmittelbare, d. h. nur an ſich ſeyen-
de Einheit. Wenn aber ein Gegenſtand z. B. der Staat
ſeiner Idee gar nicht angemeſſen, das heißt, vielmehr
gar nicht die Idee des Staates waͤre, wenn ſeine Reali-
taͤt, welche die ſelbſtbewußten Individuen iſt, dem Be-
griffe ganz nicht entſpraͤche, ſo haͤtten ſeine Seele und
ſein Leib ſich getrennt; jene entfloͤhe in die abgeſchiede-
nen Regionen des Gedankens, dieſe waͤre in die einzel-
nen Individualitaͤten zerfallen; aber indem der Begriff
des Staats ſo weſentlich ihre Natur ausmacht, ſo iſt er
als ein ſo maͤchtiger Trieb in ihnen, daß ſie ihn, ſey es
auch nur in der Form aͤuſſerer Zweckmaͤſſigkeit in Reali-
taͤt zu verſetzen oder ihn ſo ſich gefallen zu laſſen ge-
drungen ſind, oder ſie muͤßten zu Grunde gehen. Der
ſchlechteſte Staat, deſſen Realitaͤt dem Begriffe am we-
nigſten entſpricht, inſofern er noch exiſtirt, iſt er noch
Idee, die Individuen gehorchen noch einem Machtha-
benden Begriffe.

Die Idee hat aber nicht nur den allgemeinern Sinn
des wahrhaften Seyns, der Einheit von Begriff
und Realitaͤt, ſondern den beſtimmtern von ſubjecti-

vem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0289" n="271"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Idee</hi>.</fw><lb/>
haben. Das Ho&#x0364;ch&#x017F;te, was &#x017F;ie nach der Seite die&#x017F;er<lb/>
Endlichkeit erreichen, i&#x017F;t die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Zweckma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit.<lb/>
Daß die wirklichen Dinge mit der Idee nicht congruiren,<lb/>
i&#x017F;t die Seite ihrer <hi rendition="#g">Endlichkeit, Unwahrheit</hi>, nach<lb/>
welcher &#x017F;ie <hi rendition="#g">Objecte</hi>, jedes nach &#x017F;einer ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Spha&#x0364;re, und in den Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en der Objectivita&#x0364;t, me-<lb/>
chani&#x017F;ch, chemi&#x017F;ch oder durch einen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Zweck<lb/>
be&#x017F;timmt i&#x017F;t. Daß die Idee ihre Realita&#x0364;t nicht vollkom-<lb/>
men durchgearbeitet, &#x017F;ie unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig dem Begriffe un-<lb/>
terworfen hat, davon beruht die Mo&#x0364;glichkeit darauf, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t einen <hi rendition="#g">be&#x017F;chra&#x0364;nkten Inhalt</hi> hat, daß &#x017F;ie,<lb/>
&#x017F;o we&#x017F;entlich &#x017F;ie Einheit des Begriffs und der Realita&#x0364;t,<lb/>
eben &#x017F;o we&#x017F;entlich auch deren Unter&#x017F;chied i&#x017F;t; denn nur<lb/>
das Object i&#x017F;t die unmittelbare, d. h. nur <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi> &#x017F;eyen-<lb/>
de Einheit. Wenn aber ein Gegen&#x017F;tand z. B. der Staat<lb/>
&#x017F;einer Idee <hi rendition="#g">gar nicht</hi> angeme&#x017F;&#x017F;en, das heißt, vielmehr<lb/>
gar nicht die Idee des Staates wa&#x0364;re, wenn &#x017F;eine Reali-<lb/>
ta&#x0364;t, welche die &#x017F;elb&#x017F;tbewußten Individuen i&#x017F;t, dem Be-<lb/>
griffe ganz nicht ent&#x017F;pra&#x0364;che, &#x017F;o ha&#x0364;tten &#x017F;eine Seele und<lb/>
&#x017F;ein Leib &#x017F;ich getrennt; jene entflo&#x0364;he in die abge&#x017F;chiede-<lb/>
nen Regionen des Gedankens, die&#x017F;e wa&#x0364;re in die einzel-<lb/>
nen Individualita&#x0364;ten zerfallen; aber indem der Begriff<lb/>
des Staats &#x017F;o we&#x017F;entlich ihre Natur ausmacht, &#x017F;o i&#x017F;t er<lb/>
als ein &#x017F;o ma&#x0364;chtiger Trieb in ihnen, daß &#x017F;ie ihn, &#x017F;ey es<lb/>
auch nur in der Form a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Zweckma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit in Reali-<lb/>
ta&#x0364;t zu ver&#x017F;etzen oder ihn &#x017F;o &#x017F;ich gefallen zu la&#x017F;&#x017F;en ge-<lb/>
drungen &#x017F;ind, oder &#x017F;ie mu&#x0364;ßten zu Grunde gehen. Der<lb/>
&#x017F;chlechte&#x017F;te Staat, de&#x017F;&#x017F;en Realita&#x0364;t dem Begriffe am we-<lb/>
nig&#x017F;ten ent&#x017F;pricht, in&#x017F;ofern er noch exi&#x017F;tirt, i&#x017F;t er noch<lb/>
Idee, die Individuen gehorchen noch einem Machtha-<lb/>
benden Begriffe.</p><lb/>
          <p>Die Idee hat aber nicht nur den allgemeinern Sinn<lb/>
des <hi rendition="#g">wahrhaften Seyns</hi>, der Einheit von <hi rendition="#g">Begriff</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Realita&#x0364;t</hi>, &#x017F;ondern den be&#x017F;timmtern von <hi rendition="#g">&#x017F;ubjecti-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#g">vem</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0289] Idee. haben. Das Hoͤchſte, was ſie nach der Seite dieſer Endlichkeit erreichen, iſt die aͤuſſere Zweckmaͤſſigkeit. Daß die wirklichen Dinge mit der Idee nicht congruiren, iſt die Seite ihrer Endlichkeit, Unwahrheit, nach welcher ſie Objecte, jedes nach ſeiner verſchiedenen Sphaͤre, und in den Verhaͤltniſſen der Objectivitaͤt, me- chaniſch, chemiſch oder durch einen aͤuſſerlichen Zweck beſtimmt iſt. Daß die Idee ihre Realitaͤt nicht vollkom- men durchgearbeitet, ſie unvollſtaͤndig dem Begriffe un- terworfen hat, davon beruht die Moͤglichkeit darauf, daß ſie ſelbſt einen beſchraͤnkten Inhalt hat, daß ſie, ſo weſentlich ſie Einheit des Begriffs und der Realitaͤt, eben ſo weſentlich auch deren Unterſchied iſt; denn nur das Object iſt die unmittelbare, d. h. nur an ſich ſeyen- de Einheit. Wenn aber ein Gegenſtand z. B. der Staat ſeiner Idee gar nicht angemeſſen, das heißt, vielmehr gar nicht die Idee des Staates waͤre, wenn ſeine Reali- taͤt, welche die ſelbſtbewußten Individuen iſt, dem Be- griffe ganz nicht entſpraͤche, ſo haͤtten ſeine Seele und ſein Leib ſich getrennt; jene entfloͤhe in die abgeſchiede- nen Regionen des Gedankens, dieſe waͤre in die einzel- nen Individualitaͤten zerfallen; aber indem der Begriff des Staats ſo weſentlich ihre Natur ausmacht, ſo iſt er als ein ſo maͤchtiger Trieb in ihnen, daß ſie ihn, ſey es auch nur in der Form aͤuſſerer Zweckmaͤſſigkeit in Reali- taͤt zu verſetzen oder ihn ſo ſich gefallen zu laſſen ge- drungen ſind, oder ſie muͤßten zu Grunde gehen. Der ſchlechteſte Staat, deſſen Realitaͤt dem Begriffe am we- nigſten entſpricht, inſofern er noch exiſtirt, iſt er noch Idee, die Individuen gehorchen noch einem Machtha- benden Begriffe. Die Idee hat aber nicht nur den allgemeinern Sinn des wahrhaften Seyns, der Einheit von Begriff und Realitaͤt, ſondern den beſtimmtern von ſubjecti- vem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/289
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/289>, abgerufen am 21.05.2024.