Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abschnitt. Subjectivität.
werden, so ist diß dasselbe unkritische Verfahren als
wenn nach Kant die Verstandesbegriffe auf die unend-
liche Vernunftidee oder das sogenannte Ding-an-sich
angewendet werden; der Begriff, wozu auch das von
ihm ausgehende Urtheil gehört, ist das wahrhafte
Ding-an-sich oder das Vernünftige, jene Be-
stimmungen aber gehören dem Seyn oder Wesen an,
und sind noch nicht zu der Art und Weise fortgebildete
Formen, wie sie in ihrer Wahrheit, im Begriffe,
sind. -- Wenn bey dem Weissen, Rothen, als sinnli-
chen
Vorstellungen stehen geblieben wird, so wird, wie
gewöhnlich, etwas Begriff genannt, was nur Vorstel-
lungsbestimmung ist, und dann ist freylich das Nicht-
weisse, Nicht-rothe kein positives, so wie vollends das
nicht dreyeckigte ein ganz unbestimmtes ist, denn die auf
der Zahl und dem Quantum überhaupt beruhende Be-
stimmung ist die wesentlich gleichgültige, begriff-
lose
. Aber wie das Nichtseyn selbst, so soll auch
solcher sinnlicher Inhalt begriffen werden, und jene
Gleichgültigkeit und abstracte Unmittelbarkeit verlieren,
die er in der blinden bewegungslosen Vorstellung hat.
Schon im Daseyn wird das gedankenlose Nichts zur
Grenze, wodurch Etwas sich doch auf ein Ande-
res
ausser ihm bezieht. In der Reflexion aber ist
es das Negative, das sich wesentlich auf ein Po-
sitives bezieht
, und somit bestimmt ist; ein Ne-
gatives ist schon nicht mehr jenes unbestimmte
Nichtseyn
, es ist gesetzt nur zu seyn, indem ihm das
Positive entgegen sieht, das Dritte ist ihr Grund; das
Negative ist somit in einer umschlossenen Sphäre gehal-
ten, worin das, was das eine nicht ist, etwas be-
stimmtes
ist. -- Noch mehr aber ist in der absolut
flüssigen Continuität des Begriffs und seiner Bestim-
mungen das Nicht unmittelbar ein positives, und die
Negation nicht nur Bestimmtheit, sondern in die

All-

I. Abſchnitt. Subjectivitaͤt.
werden, ſo iſt diß daſſelbe unkritiſche Verfahren als
wenn nach Kant die Verſtandesbegriffe auf die unend-
liche Vernunftidee oder das ſogenannte Ding-an-ſich
angewendet werden; der Begriff, wozu auch das von
ihm ausgehende Urtheil gehoͤrt, iſt das wahrhafte
Ding-an-ſich oder das Vernuͤnftige, jene Be-
ſtimmungen aber gehoͤren dem Seyn oder Weſen an,
und ſind noch nicht zu der Art und Weiſe fortgebildete
Formen, wie ſie in ihrer Wahrheit, im Begriffe,
ſind. — Wenn bey dem Weiſſen, Rothen, als ſinnli-
chen
Vorſtellungen ſtehen geblieben wird, ſo wird, wie
gewoͤhnlich, etwas Begriff genannt, was nur Vorſtel-
lungsbeſtimmung iſt, und dann iſt freylich das Nicht-
weiſſe, Nicht-rothe kein poſitives, ſo wie vollends das
nicht dreyeckigte ein ganz unbeſtimmtes iſt, denn die auf
der Zahl und dem Quantum uͤberhaupt beruhende Be-
ſtimmung iſt die weſentlich gleichguͤltige, begriff-
loſe
. Aber wie das Nichtſeyn ſelbſt, ſo ſoll auch
ſolcher ſinnlicher Inhalt begriffen werden, und jene
Gleichguͤltigkeit und abſtracte Unmittelbarkeit verlieren,
die er in der blinden bewegungsloſen Vorſtellung hat.
Schon im Daſeyn wird das gedankenloſe Nichts zur
Grenze, wodurch Etwas ſich doch auf ein Ande-
res
auſſer ihm bezieht. In der Reflexion aber iſt
es das Negative, das ſich weſentlich auf ein Po-
ſitives bezieht
, und ſomit beſtimmt iſt; ein Ne-
gatives iſt ſchon nicht mehr jenes unbeſtimmte
Nichtſeyn
, es iſt geſetzt nur zu ſeyn, indem ihm das
Poſitive entgegen ſieht, das Dritte iſt ihr Grund; das
Negative iſt ſomit in einer umſchloſſenen Sphaͤre gehal-
ten, worin das, was das eine nicht iſt, etwas be-
ſtimmtes
iſt. — Noch mehr aber iſt in der abſolut
fluͤſſigen Continuitaͤt des Begriffs und ſeiner Beſtim-
mungen das Nicht unmittelbar ein poſitives, und die
Negation nicht nur Beſtimmtheit, ſondern in die

All-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0112" n="94"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">Ab&#x017F;chnitt. Subjectivita&#x0364;t</hi>.</fw><lb/>
werden, &#x017F;o i&#x017F;t diß da&#x017F;&#x017F;elbe <hi rendition="#g">unkriti&#x017F;che</hi> Verfahren als<lb/>
wenn nach Kant die Ver&#x017F;tandesbegriffe auf die unend-<lb/>
liche Vernunftidee oder das &#x017F;ogenannte <hi rendition="#g">Ding-an-&#x017F;ich</hi><lb/>
angewendet werden; der <hi rendition="#g">Begriff</hi>, wozu auch das von<lb/>
ihm ausgehende <hi rendition="#g">Urtheil</hi> geho&#x0364;rt, i&#x017F;t das wahrhafte<lb/><hi rendition="#g">Ding-an-&#x017F;ich</hi> oder das <hi rendition="#g">Vernu&#x0364;nftige</hi>, jene Be-<lb/>
&#x017F;timmungen aber geho&#x0364;ren dem <hi rendition="#g">Seyn</hi> oder <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi> an,<lb/>
und &#x017F;ind noch nicht zu der Art und Wei&#x017F;e fortgebildete<lb/>
Formen, wie &#x017F;ie in ihrer Wahrheit, im <hi rendition="#g">Begriffe</hi>,<lb/>
&#x017F;ind. &#x2014; Wenn bey dem Wei&#x017F;&#x017F;en, Rothen, als <hi rendition="#g">&#x017F;innli-<lb/>
chen</hi> Vor&#x017F;tellungen &#x017F;tehen geblieben wird, &#x017F;o wird, wie<lb/>
gewo&#x0364;hnlich, etwas Begriff genannt, was nur Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungsbe&#x017F;timmung i&#x017F;t, und dann i&#x017F;t freylich das Nicht-<lb/>
wei&#x017F;&#x017F;e, Nicht-rothe kein po&#x017F;itives, &#x017F;o wie vollends das<lb/>
nicht dreyeckigte ein ganz unbe&#x017F;timmtes i&#x017F;t, denn die auf<lb/>
der Zahl und dem Quantum u&#x0364;berhaupt beruhende Be-<lb/>
&#x017F;timmung i&#x017F;t die we&#x017F;entlich <hi rendition="#g">gleichgu&#x0364;ltige, begriff-<lb/>
lo&#x017F;e</hi>. Aber wie das <hi rendition="#g">Nicht&#x017F;eyn</hi> &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;oll auch<lb/>
&#x017F;olcher &#x017F;innlicher Inhalt <hi rendition="#g">begriffen</hi> werden, und jene<lb/>
Gleichgu&#x0364;ltigkeit und ab&#x017F;tracte Unmittelbarkeit verlieren,<lb/>
die er in der blinden bewegungslo&#x017F;en Vor&#x017F;tellung hat.<lb/>
Schon im Da&#x017F;eyn wird das gedankenlo&#x017F;e <hi rendition="#g">Nichts</hi> zur<lb/><hi rendition="#g">Grenze</hi>, wodurch <hi rendition="#g">Etwas</hi> &#x017F;ich doch auf ein <hi rendition="#g">Ande-<lb/>
res</hi> au&#x017F;&#x017F;er ihm <hi rendition="#g">bezieht</hi>. In der Reflexion aber i&#x017F;t<lb/>
es das <hi rendition="#g">Negative</hi>, das &#x017F;ich <hi rendition="#g">we&#x017F;entlich</hi> auf ein <hi rendition="#g">Po-<lb/>
&#x017F;itives bezieht</hi>, und &#x017F;omit <hi rendition="#g">be&#x017F;timmt</hi> i&#x017F;t; ein Ne-<lb/>
gatives i&#x017F;t &#x017F;chon nicht mehr jenes <hi rendition="#g">unbe&#x017F;timmte<lb/>
Nicht&#x017F;eyn</hi>, es i&#x017F;t ge&#x017F;etzt nur zu &#x017F;eyn, indem ihm das<lb/>
Po&#x017F;itive entgegen &#x017F;ieht, das Dritte i&#x017F;t ihr <hi rendition="#g">Grund</hi>; das<lb/>
Negative i&#x017F;t &#x017F;omit in einer um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Spha&#x0364;re gehal-<lb/>
ten, worin das, was das eine <hi rendition="#g">nicht</hi> i&#x017F;t, etwas <hi rendition="#g">be-<lb/>
&#x017F;timmtes</hi> i&#x017F;t. &#x2014; Noch mehr aber i&#x017F;t in der ab&#x017F;olut<lb/>
flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Continuita&#x0364;t des Begriffs und &#x017F;einer Be&#x017F;tim-<lb/>
mungen das <hi rendition="#g">Nicht</hi> unmittelbar ein po&#x017F;itives, und die<lb/><hi rendition="#g">Negation</hi> nicht nur Be&#x017F;timmtheit, &#x017F;ondern in die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">All-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0112] I. Abſchnitt. Subjectivitaͤt. werden, ſo iſt diß daſſelbe unkritiſche Verfahren als wenn nach Kant die Verſtandesbegriffe auf die unend- liche Vernunftidee oder das ſogenannte Ding-an-ſich angewendet werden; der Begriff, wozu auch das von ihm ausgehende Urtheil gehoͤrt, iſt das wahrhafte Ding-an-ſich oder das Vernuͤnftige, jene Be- ſtimmungen aber gehoͤren dem Seyn oder Weſen an, und ſind noch nicht zu der Art und Weiſe fortgebildete Formen, wie ſie in ihrer Wahrheit, im Begriffe, ſind. — Wenn bey dem Weiſſen, Rothen, als ſinnli- chen Vorſtellungen ſtehen geblieben wird, ſo wird, wie gewoͤhnlich, etwas Begriff genannt, was nur Vorſtel- lungsbeſtimmung iſt, und dann iſt freylich das Nicht- weiſſe, Nicht-rothe kein poſitives, ſo wie vollends das nicht dreyeckigte ein ganz unbeſtimmtes iſt, denn die auf der Zahl und dem Quantum uͤberhaupt beruhende Be- ſtimmung iſt die weſentlich gleichguͤltige, begriff- loſe. Aber wie das Nichtſeyn ſelbſt, ſo ſoll auch ſolcher ſinnlicher Inhalt begriffen werden, und jene Gleichguͤltigkeit und abſtracte Unmittelbarkeit verlieren, die er in der blinden bewegungsloſen Vorſtellung hat. Schon im Daſeyn wird das gedankenloſe Nichts zur Grenze, wodurch Etwas ſich doch auf ein Ande- res auſſer ihm bezieht. In der Reflexion aber iſt es das Negative, das ſich weſentlich auf ein Po- ſitives bezieht, und ſomit beſtimmt iſt; ein Ne- gatives iſt ſchon nicht mehr jenes unbeſtimmte Nichtſeyn, es iſt geſetzt nur zu ſeyn, indem ihm das Poſitive entgegen ſieht, das Dritte iſt ihr Grund; das Negative iſt ſomit in einer umſchloſſenen Sphaͤre gehal- ten, worin das, was das eine nicht iſt, etwas be- ſtimmtes iſt. — Noch mehr aber iſt in der abſolut fluͤſſigen Continuitaͤt des Begriffs und ſeiner Beſtim- mungen das Nicht unmittelbar ein poſitives, und die Negation nicht nur Beſtimmtheit, ſondern in die All-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/112
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/112>, abgerufen am 04.05.2024.