Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch. II. Abschnitt.
hat gefallen lassen, als den, daß das, was herauskam,
immer schon vorher bekannt war, und der Beweis, der
so eingerichtet wurde, daß es herauskam, ungeachtet sich
auf solche Art eben so gut das Gegentheil herausbrin-
gen ließ, wenigstens den Schein eines Gerüstes
von Beweis
zu Stande brachte; -- einen Schein,
den man dem bloßen Glauben oder dem Wissen aus
sinnlicher Erfahrung immer noch vorzog. Ich trage kein
Bedenken, diese Manier für nicht mehr als eine bloße
Taschenspielerey und Charlatanerie des Beweisens anzu-
sehen, und hierunter selbst eine Menge der Newtoni-
schen Beweise zu rechnen, besonders aber derjenigen,
wegen welcher man Newton bis an den Himmel und
über Keppler erhob, das was dieser bloß durch Erfah-
rung gefunden, mathematisch dargethan zu haben. So
lange die Mathematik des Unendlichen, des gründlichen
Begriffs ihres Gegenstands entbehrt, vermag sie die
Grenze nicht anzugeben, bis zu welcher jenes Gleich-
setzen gehen darf, und auch den richtigen ihrer Opera-
tionen hängt immer das Mistrauen an, welches aus
der Unsicherheit, und bey der angeführten Verwechs-
lung, -- der Sinnlosigkeit dieses Verfahrens entspringt,
-- eines Verfahrens, das dem schon öfters erwähnten
Gerede neuerer Philosophen, -- das zugleich ihre ganze
Philosophie auszumachen pflegt, -- daß im Absoluten
Alles Eins ist, nichts vorzuwerfen hat.

Das leere Gerüste Newtonischer Beweise jener Art,
wurde vornemlich errichtet, um physische Gesetze zu be-
weisen. Aber die Mathematik vermag überhaupt nicht
Größenbestimmungen der Physik zu beweisen, insofern
sie Gesetze sind, welche die qualitative Natur der
Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grun-
de, weil diese Wissenschaft nicht Philosophie ist, nicht
vom Begriffe
ausgeht, und das qualitative daher,

inso-

Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
hat gefallen laſſen, als den, daß das, was herauskam,
immer ſchon vorher bekannt war, und der Beweis, der
ſo eingerichtet wurde, daß es herauskam, ungeachtet ſich
auf ſolche Art eben ſo gut das Gegentheil herausbrin-
gen ließ, wenigſtens den Schein eines Geruͤſtes
von Beweis
zu Stande brachte; — einen Schein,
den man dem bloßen Glauben oder dem Wiſſen aus
ſinnlicher Erfahrung immer noch vorzog. Ich trage kein
Bedenken, dieſe Manier fuͤr nicht mehr als eine bloße
Taſchenſpielerey und Charlatanerie des Beweiſens anzu-
ſehen, und hierunter ſelbſt eine Menge der Newtoni-
ſchen Beweiſe zu rechnen, beſonders aber derjenigen,
wegen welcher man Newton bis an den Himmel und
uͤber Keppler erhob, das was dieſer bloß durch Erfah-
rung gefunden, mathematiſch dargethan zu haben. So
lange die Mathematik des Unendlichen, des gruͤndlichen
Begriffs ihres Gegenſtands entbehrt, vermag ſie die
Grenze nicht anzugeben, bis zu welcher jenes Gleich-
ſetzen gehen darf, und auch den richtigen ihrer Opera-
tionen haͤngt immer das Mistrauen an, welches aus
der Unſicherheit, und bey der angefuͤhrten Verwechs-
lung, — der Sinnloſigkeit dieſes Verfahrens entſpringt,
— eines Verfahrens, das dem ſchon oͤfters erwaͤhnten
Gerede neuerer Philoſophen, — das zugleich ihre ganze
Philoſophie auszumachen pflegt, — daß im Abſoluten
Alles Eins iſt, nichts vorzuwerfen hat.

Das leere Geruͤſte Newtoniſcher Beweiſe jener Art,
wurde vornemlich errichtet, um phyſiſche Geſetze zu be-
weiſen. Aber die Mathematik vermag uͤberhaupt nicht
Groͤßenbeſtimmungen der Phyſik zu beweiſen, inſofern
ſie Geſetze ſind, welche die qualitative Natur der
Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grun-
de, weil dieſe Wiſſenſchaft nicht Philoſophie iſt, nicht
vom Begriffe
ausgeht, und das qualitative daher,

inſo-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0294" n="246"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Buch</hi>. <hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
hat gefallen la&#x017F;&#x017F;en, als den, daß das, was herauskam,<lb/>
immer &#x017F;chon vorher bekannt war, und der Beweis, der<lb/>
&#x017F;o eingerichtet wurde, daß es herauskam, ungeachtet &#x017F;ich<lb/>
auf &#x017F;olche Art eben &#x017F;o gut das Gegentheil herausbrin-<lb/>
gen ließ, wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">den Schein eines Geru&#x0364;&#x017F;tes<lb/>
von Beweis</hi> zu Stande brachte; &#x2014; einen Schein,<lb/>
den man dem bloßen Glauben oder dem Wi&#x017F;&#x017F;en aus<lb/>
&#x017F;innlicher Erfahrung immer noch vorzog. Ich trage kein<lb/>
Bedenken, die&#x017F;e Manier fu&#x0364;r nicht mehr als eine bloße<lb/>
Ta&#x017F;chen&#x017F;pielerey und Charlatanerie des Bewei&#x017F;ens anzu-<lb/>
&#x017F;ehen, und hierunter &#x017F;elb&#x017F;t eine Menge der Newtoni-<lb/>
&#x017F;chen Bewei&#x017F;e zu rechnen, be&#x017F;onders aber derjenigen,<lb/>
wegen welcher man Newton bis an den Himmel und<lb/>
u&#x0364;ber Keppler erhob, das was die&#x017F;er bloß durch Erfah-<lb/>
rung gefunden, mathemati&#x017F;ch dargethan zu haben. So<lb/>
lange die Mathematik des Unendlichen, des gru&#x0364;ndlichen<lb/>
Begriffs ihres Gegen&#x017F;tands entbehrt, vermag &#x017F;ie die<lb/>
Grenze nicht anzugeben, bis zu welcher jenes Gleich-<lb/>
&#x017F;etzen gehen darf, und auch den richtigen ihrer Opera-<lb/>
tionen ha&#x0364;ngt immer das Mistrauen an, welches aus<lb/>
der Un&#x017F;icherheit, und bey der angefu&#x0364;hrten Verwechs-<lb/>
lung, &#x2014; der Sinnlo&#x017F;igkeit die&#x017F;es Verfahrens ent&#x017F;pringt,<lb/>
&#x2014; eines Verfahrens, das dem &#x017F;chon o&#x0364;fters erwa&#x0364;hnten<lb/>
Gerede neuerer Philo&#x017F;ophen, &#x2014; das zugleich ihre ganze<lb/>
Philo&#x017F;ophie auszumachen pflegt, &#x2014; daß im Ab&#x017F;oluten<lb/>
Alles Eins i&#x017F;t, nichts vorzuwerfen hat.</p><lb/>
                    <p>Das leere Geru&#x0364;&#x017F;te Newtoni&#x017F;cher Bewei&#x017F;e jener Art,<lb/>
wurde vornemlich errichtet, um phy&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;etze zu be-<lb/>
wei&#x017F;en. Aber die Mathematik vermag u&#x0364;berhaupt nicht<lb/>
Gro&#x0364;ßenbe&#x017F;timmungen der Phy&#x017F;ik zu bewei&#x017F;en, in&#x017F;ofern<lb/>
&#x017F;ie Ge&#x017F;etze &#x017F;ind, welche die <hi rendition="#g">qualitative Natur</hi> der<lb/>
Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grun-<lb/>
de, weil die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nicht Philo&#x017F;ophie i&#x017F;t, <hi rendition="#g">nicht<lb/>
vom Begriffe</hi> ausgeht, und das qualitative daher,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in&#x017F;o-</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0294] Erſtes Buch. II. Abſchnitt. hat gefallen laſſen, als den, daß das, was herauskam, immer ſchon vorher bekannt war, und der Beweis, der ſo eingerichtet wurde, daß es herauskam, ungeachtet ſich auf ſolche Art eben ſo gut das Gegentheil herausbrin- gen ließ, wenigſtens den Schein eines Geruͤſtes von Beweis zu Stande brachte; — einen Schein, den man dem bloßen Glauben oder dem Wiſſen aus ſinnlicher Erfahrung immer noch vorzog. Ich trage kein Bedenken, dieſe Manier fuͤr nicht mehr als eine bloße Taſchenſpielerey und Charlatanerie des Beweiſens anzu- ſehen, und hierunter ſelbſt eine Menge der Newtoni- ſchen Beweiſe zu rechnen, beſonders aber derjenigen, wegen welcher man Newton bis an den Himmel und uͤber Keppler erhob, das was dieſer bloß durch Erfah- rung gefunden, mathematiſch dargethan zu haben. So lange die Mathematik des Unendlichen, des gruͤndlichen Begriffs ihres Gegenſtands entbehrt, vermag ſie die Grenze nicht anzugeben, bis zu welcher jenes Gleich- ſetzen gehen darf, und auch den richtigen ihrer Opera- tionen haͤngt immer das Mistrauen an, welches aus der Unſicherheit, und bey der angefuͤhrten Verwechs- lung, — der Sinnloſigkeit dieſes Verfahrens entſpringt, — eines Verfahrens, das dem ſchon oͤfters erwaͤhnten Gerede neuerer Philoſophen, — das zugleich ihre ganze Philoſophie auszumachen pflegt, — daß im Abſoluten Alles Eins iſt, nichts vorzuwerfen hat. Das leere Geruͤſte Newtoniſcher Beweiſe jener Art, wurde vornemlich errichtet, um phyſiſche Geſetze zu be- weiſen. Aber die Mathematik vermag uͤberhaupt nicht Groͤßenbeſtimmungen der Phyſik zu beweiſen, inſofern ſie Geſetze ſind, welche die qualitative Natur der Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grun- de, weil dieſe Wiſſenſchaft nicht Philoſophie iſt, nicht vom Begriffe ausgeht, und das qualitative daher, inſo-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/294
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/294>, abgerufen am 22.11.2024.