gerade das Wesentliche der Wahrheit, der Inhalt, ausser ihr liege.
Vors erste ist es schon ungeschikt zu sagen, daß die Logik von allem Inhalte abstrahire, daß sie nur die Re- geln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte sich ein- lassen und auf dessen Beschaffenheit Rüksicht nehmen zu können. Denn da das Denken und die Regeln des Den- kens ihr Gegenstand seyn sollen, so hat sie ja unmittelbar daran ihren eigenthümlichen Inhalt; sie hat daran auch jenes zweyte Bestandstück der Erkenntniß, eine Materie, um deren Beschaffenheit sie sich bekümmert.
Allein zweytens sind überhaupt die Vorstellungen, auf denen der Begriff der Logik bisher beruhte, theils bereits untergegangen, theils ist es Zeit, daß sie vol- lends verschwinden, daß der Standpunkt dieser Wissen- schaft höher gefaßt werde, und daß sie eine völlig verän- derte Gestalt gewinne.
Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im gewöhnlichen Bewußtseyn ein für allemal vorausgesetzten Trennung des Inhalts der Erkenntniß und der Form der- selben, oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird erstens vorausgesetzt, daß der Stoff des Erkennens, als eine fertige Welt ausserhalb dem Denken, an und für sich vorhanden, daß das Denken für sich leer sey, als eine Form äusserlich zu jener Materie hinzutrete, sich damit erfülle, erst daran einen Inhalt gewinne und ein reales Erkennen werde.
Alsdann stehen diese beyden Bestandtheile, -- (denn sie sollen das Verhältniß von Bestandtheilen haben, und das
Er-
A 2
Einleitung.
gerade das Weſentliche der Wahrheit, der Inhalt, auſſer ihr liege.
Vors erſte iſt es ſchon ungeſchikt zu ſagen, daß die Logik von allem Inhalte abſtrahire, daß ſie nur die Re- geln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte ſich ein- laſſen und auf deſſen Beſchaffenheit Ruͤkſicht nehmen zu koͤnnen. Denn da das Denken und die Regeln des Den- kens ihr Gegenſtand ſeyn ſollen, ſo hat ſie ja unmittelbar daran ihren eigenthuͤmlichen Inhalt; ſie hat daran auch jenes zweyte Beſtandſtuͤck der Erkenntniß, eine Materie, um deren Beſchaffenheit ſie ſich bekuͤmmert.
Allein zweytens ſind uͤberhaupt die Vorſtellungen, auf denen der Begriff der Logik bisher beruhte, theils bereits untergegangen, theils iſt es Zeit, daß ſie vol- lends verſchwinden, daß der Standpunkt dieſer Wiſſen- ſchaft hoͤher gefaßt werde, und daß ſie eine voͤllig veraͤn- derte Geſtalt gewinne.
Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im gewoͤhnlichen Bewußtſeyn ein fuͤr allemal vorausgeſetzten Trennung des Inhalts der Erkenntniß und der Form der- ſelben, oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird erſtens vorausgeſetzt, daß der Stoff des Erkennens, als eine fertige Welt auſſerhalb dem Denken, an und fuͤr ſich vorhanden, daß das Denken fuͤr ſich leer ſey, als eine Form aͤuſſerlich zu jener Materie hinzutrete, ſich damit erfuͤlle, erſt daran einen Inhalt gewinne und ein reales Erkennen werde.
Alsdann ſtehen dieſe beyden Beſtandtheile, — (denn ſie ſollen das Verhaͤltniß von Beſtandtheilen haben, und das
Er-
A 2
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="III"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
gerade das Weſentliche der Wahrheit, der Inhalt, auſſer<lb/>
ihr liege.</p><lb/><p>Vors erſte iſt es ſchon ungeſchikt zu ſagen, daß die<lb/>
Logik von allem Inhalte abſtrahire, daß ſie nur die Re-<lb/>
geln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte ſich ein-<lb/>
laſſen und auf deſſen Beſchaffenheit Ruͤkſicht nehmen zu<lb/>
koͤnnen. Denn da das Denken und die Regeln des Den-<lb/>
kens ihr Gegenſtand ſeyn ſollen, ſo hat ſie ja unmittelbar<lb/>
daran ihren eigenthuͤmlichen Inhalt; ſie hat daran auch<lb/>
jenes zweyte Beſtandſtuͤck der Erkenntniß, eine Materie,<lb/>
um deren Beſchaffenheit ſie ſich bekuͤmmert.</p><lb/><p>Allein zweytens ſind uͤberhaupt die Vorſtellungen,<lb/>
auf denen der Begriff der Logik bisher beruhte, theils<lb/>
bereits untergegangen, theils iſt es Zeit, daß ſie vol-<lb/>
lends verſchwinden, daß der Standpunkt dieſer Wiſſen-<lb/>ſchaft hoͤher gefaßt werde, und daß ſie eine voͤllig veraͤn-<lb/>
derte Geſtalt gewinne.</p><lb/><p>Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im<lb/>
gewoͤhnlichen Bewußtſeyn ein fuͤr allemal vorausgeſetzten<lb/>
Trennung des Inhalts der Erkenntniß und der Form der-<lb/>ſelben, oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird<lb/><hirendition="#g">erſtens</hi> vorausgeſetzt, daß der Stoff des Erkennens,<lb/>
als eine fertige Welt auſſerhalb dem Denken, an und fuͤr<lb/>ſich vorhanden, daß das Denken fuͤr ſich leer ſey, als<lb/>
eine Form aͤuſſerlich zu jener Materie hinzutrete, ſich<lb/>
damit erfuͤlle, erſt daran einen Inhalt gewinne und ein<lb/>
reales Erkennen werde.</p><lb/><p>Alsdann ſtehen dieſe beyden Beſtandtheile, — (denn<lb/>ſie ſollen das Verhaͤltniß von Beſtandtheilen haben, und das<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Er-</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[III/0023]
Einleitung.
gerade das Weſentliche der Wahrheit, der Inhalt, auſſer
ihr liege.
Vors erſte iſt es ſchon ungeſchikt zu ſagen, daß die
Logik von allem Inhalte abſtrahire, daß ſie nur die Re-
geln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte ſich ein-
laſſen und auf deſſen Beſchaffenheit Ruͤkſicht nehmen zu
koͤnnen. Denn da das Denken und die Regeln des Den-
kens ihr Gegenſtand ſeyn ſollen, ſo hat ſie ja unmittelbar
daran ihren eigenthuͤmlichen Inhalt; ſie hat daran auch
jenes zweyte Beſtandſtuͤck der Erkenntniß, eine Materie,
um deren Beſchaffenheit ſie ſich bekuͤmmert.
Allein zweytens ſind uͤberhaupt die Vorſtellungen,
auf denen der Begriff der Logik bisher beruhte, theils
bereits untergegangen, theils iſt es Zeit, daß ſie vol-
lends verſchwinden, daß der Standpunkt dieſer Wiſſen-
ſchaft hoͤher gefaßt werde, und daß ſie eine voͤllig veraͤn-
derte Geſtalt gewinne.
Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im
gewoͤhnlichen Bewußtſeyn ein fuͤr allemal vorausgeſetzten
Trennung des Inhalts der Erkenntniß und der Form der-
ſelben, oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird
erſtens vorausgeſetzt, daß der Stoff des Erkennens,
als eine fertige Welt auſſerhalb dem Denken, an und fuͤr
ſich vorhanden, daß das Denken fuͤr ſich leer ſey, als
eine Form aͤuſſerlich zu jener Materie hinzutrete, ſich
damit erfuͤlle, erſt daran einen Inhalt gewinne und ein
reales Erkennen werde.
Alsdann ſtehen dieſe beyden Beſtandtheile, — (denn
ſie ſollen das Verhaͤltniß von Beſtandtheilen haben, und das
Er-
A 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. III. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/23>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.