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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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Vorrede.
wenn einem Volke z. B. die Wissenschaft seines Staats-
rechts, wenn ihm seine Gesinnungen, seine sittlichen
Gewohnheiten und Tugenden unbrauchbar geworden
sind, so merkwürdig ist es wenigstens, wenn ein Volk
seine Metaphysik verliert, wenn der mit seinem reinen
Wesen sich beschäftigende Geist kein wirkliches Da-
seyn mehr in demselben hat.

Die exoterische Lehre der Kantischen Philosophie,
-- daß der Verstand die Erfahrung nicht
über fliegen dürfe
, sonst werde das Erkenntniß-
vermögen theoretische Vernunft, welche für
sich nichts als Hirngespinste gebähre, hat es von
der wissenschaftlichen Seite gerechtfertigt, dem specu-
lativen Denken zu entsagen. Dieser populären Lehre
kam das Geschrey der modernen Pädagogik, die Noth
der Zeiten, die den Blick auf das unmittelbare Be-
dürfniß richtet, entgegen, daß, wie für die Erkenntniß
die Erfahrung das Erste, so für die Geschiklichkeit im
öffentlichen und Privatleben, theoretische Einsicht so-
gar schädlich, und Uebung und praktische Bildung
überhaupt das Wesentliche, allein Förderliche sey. --
Indem so die Wissenschaft und der gemeine Men-
schenverstand sich in die Hände arbeiteten, den Unter-
gang der Metaphysik zu bewirken, so schien das son-
derbare Schauspiel herbeygeführt zu werden, ein ge-
bildetes Volk ohne Metaphysik
zu sehen; --
wie einen sonst mannichfaltig ausgeschmückten Tempel
ohne Allerheiligstes. -- Die Theologie, welche in
frühern Zeiten die Bewahrerin der speculativen My-

sterien

Vorrede.
wenn einem Volke z. B. die Wiſſenſchaft ſeines Staats-
rechts, wenn ihm ſeine Geſinnungen, ſeine ſittlichen
Gewohnheiten und Tugenden unbrauchbar geworden
ſind, ſo merkwuͤrdig iſt es wenigſtens, wenn ein Volk
ſeine Metaphyſik verliert, wenn der mit ſeinem reinen
Weſen ſich beſchaͤftigende Geiſt kein wirkliches Da-
ſeyn mehr in demſelben hat.

Die exoteriſche Lehre der Kantiſchen Philoſophie,
— daß der Verſtand die Erfahrung nicht
uͤber fliegen duͤrfe
, ſonſt werde das Erkenntniß-
vermoͤgen theoretiſche Vernunft, welche fuͤr
ſich nichts als Hirngeſpinſte gebaͤhre, hat es von
der wiſſenſchaftlichen Seite gerechtfertigt, dem ſpecu-
lativen Denken zu entſagen. Dieſer populaͤren Lehre
kam das Geſchrey der modernen Paͤdagogik, die Noth
der Zeiten, die den Blick auf das unmittelbare Be-
duͤrfniß richtet, entgegen, daß, wie fuͤr die Erkenntniß
die Erfahrung das Erſte, ſo fuͤr die Geſchiklichkeit im
oͤffentlichen und Privatleben, theoretiſche Einſicht ſo-
gar ſchaͤdlich, und Uebung und praktiſche Bildung
uͤberhaupt das Weſentliche, allein Foͤrderliche ſey. —
Indem ſo die Wiſſenſchaft und der gemeine Men-
ſchenverſtand ſich in die Haͤnde arbeiteten, den Unter-
gang der Metaphyſik zu bewirken, ſo ſchien das ſon-
derbare Schauſpiel herbeygefuͤhrt zu werden, ein ge-
bildetes Volk ohne Metaphyſik
zu ſehen; —
wie einen ſonſt mannichfaltig ausgeſchmuͤckten Tempel
ohne Allerheiligſtes. — Die Theologie, welche in
fruͤhern Zeiten die Bewahrerin der ſpeculativen My-

ſterien
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[IV/0010] Vorrede. wenn einem Volke z. B. die Wiſſenſchaft ſeines Staats- rechts, wenn ihm ſeine Geſinnungen, ſeine ſittlichen Gewohnheiten und Tugenden unbrauchbar geworden ſind, ſo merkwuͤrdig iſt es wenigſtens, wenn ein Volk ſeine Metaphyſik verliert, wenn der mit ſeinem reinen Weſen ſich beſchaͤftigende Geiſt kein wirkliches Da- ſeyn mehr in demſelben hat. Die exoteriſche Lehre der Kantiſchen Philoſophie, — daß der Verſtand die Erfahrung nicht uͤber fliegen duͤrfe, ſonſt werde das Erkenntniß- vermoͤgen theoretiſche Vernunft, welche fuͤr ſich nichts als Hirngeſpinſte gebaͤhre, hat es von der wiſſenſchaftlichen Seite gerechtfertigt, dem ſpecu- lativen Denken zu entſagen. Dieſer populaͤren Lehre kam das Geſchrey der modernen Paͤdagogik, die Noth der Zeiten, die den Blick auf das unmittelbare Be- duͤrfniß richtet, entgegen, daß, wie fuͤr die Erkenntniß die Erfahrung das Erſte, ſo fuͤr die Geſchiklichkeit im oͤffentlichen und Privatleben, theoretiſche Einſicht ſo- gar ſchaͤdlich, und Uebung und praktiſche Bildung uͤberhaupt das Weſentliche, allein Foͤrderliche ſey. — Indem ſo die Wiſſenſchaft und der gemeine Men- ſchenverſtand ſich in die Haͤnde arbeiteten, den Unter- gang der Metaphyſik zu bewirken, ſo ſchien das ſon- derbare Schauſpiel herbeygefuͤhrt zu werden, ein ge- bildetes Volk ohne Metaphyſik zu ſehen; — wie einen ſonſt mannichfaltig ausgeſchmuͤckten Tempel ohne Allerheiligſtes. — Die Theologie, welche in fruͤhern Zeiten die Bewahrerin der ſpeculativen My- ſterien

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/10>, abgerufen am 22.11.2024.