Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Seyn.
denn was die Sache sey, diß ist es, was sich eben erst
im Verlaufe der Wissenschaft ergeben soll, was nicht
vor ihr als bekannt vorausgesetzt werden kann.

Welche Form sonst genommen werde, um einen an-
dern Anfang zu haben, als das leere Seyn, so leidet er
an den angeführten Mängeln. Insofern darauf reflectirt
wird, daß aus dem ersten Wahren, alles Folgende ab-
geleitet werden, daß das erste Wahre der Grund des
Ganzen seyn müsse, so scheint die Forderung nothwendig,
den Anfang mit Gott, mit dem Absoluten zu machen,
und alles aus ihm zu begreiffen. Wenn, statt auf die
gewöhnliche Weise die Vorstellung zu Grunde zu legen,
und eine Definition des Absoluten derselben gemäß vor-
auszuschicken, -- wovon vorhin die Rede war, -- im
Gegentheil die nähere Bestimmung dieses Absoluten aus
dem unmittelbaren Selbstbewußtseyn genommen, wenn
es als Ich bestimmt wird, so ist diß zwar theils ein Un-
mittelbares, theils in einem viel höhern Sinne ein Be-
kanntes, als eine sonstige Vorstellung; denn etwas sonst
Bekanntes gehört zwar dem Ich an, aber indem es nur
eine Vorstellung ist, ist es noch ein von ihm unterschie-
dener Inhalt; Ich hingegen ist die einfache Gewißheit
seiner selbst. Aber sie ist zugleich ein Concretes, oder
Ich ist vielmehr das Concreteste; es ist das Bewußtseyn
seiner, als unendlich mannichfaltiger Welt. Daß aber
Ich Anfang und Grund der Philosophie sey, dazu wird
vielmehr die Absonderung des Concreten erfordert, -- der
absolute Akt, wodurch Ich von sich selbst gereinigt wird,
und als absolutes Ich in sein Bewußtseyn tritt. Aber
diß reine Ich ist dann nicht das bekannte, das gewöhn-
liche Ich unseres Bewußtseyns, woran unmittelbar und für
jeden die Wissenschaft angeknüpft werden sollte. Jener
Akt sollte eigentlich nichts anderes seyn, als die Erhe-
bung auf den Standpunkt des reinen Wissens, auf wel-

chem

Das Seyn.
denn was die Sache ſey, diß iſt es, was ſich eben erſt
im Verlaufe der Wiſſenſchaft ergeben ſoll, was nicht
vor ihr als bekannt vorausgeſetzt werden kann.

Welche Form ſonſt genommen werde, um einen an-
dern Anfang zu haben, als das leere Seyn, ſo leidet er
an den angefuͤhrten Maͤngeln. Inſofern darauf reflectirt
wird, daß aus dem erſten Wahren, alles Folgende ab-
geleitet werden, daß das erſte Wahre der Grund des
Ganzen ſeyn muͤſſe, ſo ſcheint die Forderung nothwendig,
den Anfang mit Gott, mit dem Abſoluten zu machen,
und alles aus ihm zu begreiffen. Wenn, ſtatt auf die
gewoͤhnliche Weiſe die Vorſtellung zu Grunde zu legen,
und eine Definition des Abſoluten derſelben gemaͤß vor-
auszuſchicken, — wovon vorhin die Rede war, — im
Gegentheil die naͤhere Beſtimmung dieſes Abſoluten aus
dem unmittelbaren Selbſtbewußtſeyn genommen, wenn
es als Ich beſtimmt wird, ſo iſt diß zwar theils ein Un-
mittelbares, theils in einem viel hoͤhern Sinne ein Be-
kanntes, als eine ſonſtige Vorſtellung; denn etwas ſonſt
Bekanntes gehoͤrt zwar dem Ich an, aber indem es nur
eine Vorſtellung iſt, iſt es noch ein von ihm unterſchie-
dener Inhalt; Ich hingegen iſt die einfache Gewißheit
ſeiner ſelbſt. Aber ſie iſt zugleich ein Concretes, oder
Ich iſt vielmehr das Concreteſte; es iſt das Bewußtſeyn
ſeiner, als unendlich mannichfaltiger Welt. Daß aber
Ich Anfang und Grund der Philoſophie ſey, dazu wird
vielmehr die Abſonderung des Concreten erfordert, — der
abſolute Akt, wodurch Ich von ſich ſelbſt gereinigt wird,
und als abſolutes Ich in ſein Bewußtſeyn tritt. Aber
diß reine Ich iſt dann nicht das bekannte, das gewoͤhn-
liche Ich unſeres Bewußtſeyns, woran unmittelbar und fuͤr
jeden die Wiſſenſchaft angeknuͤpft werden ſollte. Jener
Akt ſollte eigentlich nichts anderes ſeyn, als die Erhe-
bung auf den Standpunkt des reinen Wiſſens, auf wel-

chem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0063" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Seyn</hi>.</fw><lb/>
denn was die Sache &#x017F;ey, diß i&#x017F;t es, was &#x017F;ich eben er&#x017F;t<lb/>
im Verlaufe der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ergeben &#x017F;oll, was nicht<lb/>
vor ihr als bekannt vorausge&#x017F;etzt werden kann.</p><lb/>
            <p>Welche Form &#x017F;on&#x017F;t genommen werde, um einen an-<lb/>
dern Anfang zu haben, als das leere Seyn, &#x017F;o leidet er<lb/>
an den angefu&#x0364;hrten Ma&#x0364;ngeln. In&#x017F;ofern darauf reflectirt<lb/>
wird, daß aus dem er&#x017F;ten Wahren, alles Folgende ab-<lb/>
geleitet werden, daß das er&#x017F;te Wahre der Grund des<lb/>
Ganzen &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;cheint die Forderung nothwendig,<lb/>
den Anfang mit Gott, mit dem Ab&#x017F;oluten zu machen,<lb/>
und alles aus ihm zu begreiffen. Wenn, &#x017F;tatt auf die<lb/>
gewo&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e die Vor&#x017F;tellung zu Grunde zu legen,<lb/>
und eine Definition des Ab&#x017F;oluten der&#x017F;elben gema&#x0364;ß vor-<lb/>
auszu&#x017F;chicken, &#x2014; wovon vorhin die Rede war, &#x2014; im<lb/>
Gegentheil die na&#x0364;here Be&#x017F;timmung die&#x017F;es Ab&#x017F;oluten aus<lb/>
dem unmittelbaren Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyn genommen, wenn<lb/>
es als Ich be&#x017F;timmt wird, &#x017F;o i&#x017F;t diß zwar theils ein Un-<lb/>
mittelbares, theils in einem viel ho&#x0364;hern Sinne ein Be-<lb/>
kanntes, als eine &#x017F;on&#x017F;tige Vor&#x017F;tellung; denn etwas &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Bekanntes geho&#x0364;rt zwar dem Ich an, aber indem es nur<lb/>
eine Vor&#x017F;tellung i&#x017F;t, i&#x017F;t es noch ein von ihm unter&#x017F;chie-<lb/>
dener Inhalt; Ich hingegen i&#x017F;t die einfache Gewißheit<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t. Aber &#x017F;ie i&#x017F;t zugleich ein Concretes, oder<lb/>
Ich i&#x017F;t vielmehr das Concrete&#x017F;te; es i&#x017F;t das Bewußt&#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;einer, als unendlich mannichfaltiger Welt. Daß aber<lb/>
Ich Anfang und Grund der Philo&#x017F;ophie &#x017F;ey, dazu wird<lb/>
vielmehr die Ab&#x017F;onderung des Concreten erfordert, &#x2014; der<lb/>
ab&#x017F;olute Akt, wodurch Ich von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gereinigt wird,<lb/>
und als ab&#x017F;olutes Ich in &#x017F;ein Bewußt&#x017F;eyn tritt. Aber<lb/>
diß reine Ich i&#x017F;t dann nicht das bekannte, das gewo&#x0364;hn-<lb/>
liche Ich un&#x017F;eres Bewußt&#x017F;eyns, woran unmittelbar und fu&#x0364;r<lb/>
jeden die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft angeknu&#x0364;pft werden &#x017F;ollte. Jener<lb/>
Akt &#x017F;ollte eigentlich nichts anderes &#x017F;eyn, als die Erhe-<lb/>
bung auf den Standpunkt des reinen Wi&#x017F;&#x017F;ens, auf wel-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chem</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0063] Das Seyn. denn was die Sache ſey, diß iſt es, was ſich eben erſt im Verlaufe der Wiſſenſchaft ergeben ſoll, was nicht vor ihr als bekannt vorausgeſetzt werden kann. Welche Form ſonſt genommen werde, um einen an- dern Anfang zu haben, als das leere Seyn, ſo leidet er an den angefuͤhrten Maͤngeln. Inſofern darauf reflectirt wird, daß aus dem erſten Wahren, alles Folgende ab- geleitet werden, daß das erſte Wahre der Grund des Ganzen ſeyn muͤſſe, ſo ſcheint die Forderung nothwendig, den Anfang mit Gott, mit dem Abſoluten zu machen, und alles aus ihm zu begreiffen. Wenn, ſtatt auf die gewoͤhnliche Weiſe die Vorſtellung zu Grunde zu legen, und eine Definition des Abſoluten derſelben gemaͤß vor- auszuſchicken, — wovon vorhin die Rede war, — im Gegentheil die naͤhere Beſtimmung dieſes Abſoluten aus dem unmittelbaren Selbſtbewußtſeyn genommen, wenn es als Ich beſtimmt wird, ſo iſt diß zwar theils ein Un- mittelbares, theils in einem viel hoͤhern Sinne ein Be- kanntes, als eine ſonſtige Vorſtellung; denn etwas ſonſt Bekanntes gehoͤrt zwar dem Ich an, aber indem es nur eine Vorſtellung iſt, iſt es noch ein von ihm unterſchie- dener Inhalt; Ich hingegen iſt die einfache Gewißheit ſeiner ſelbſt. Aber ſie iſt zugleich ein Concretes, oder Ich iſt vielmehr das Concreteſte; es iſt das Bewußtſeyn ſeiner, als unendlich mannichfaltiger Welt. Daß aber Ich Anfang und Grund der Philoſophie ſey, dazu wird vielmehr die Abſonderung des Concreten erfordert, — der abſolute Akt, wodurch Ich von ſich ſelbſt gereinigt wird, und als abſolutes Ich in ſein Bewußtſeyn tritt. Aber diß reine Ich iſt dann nicht das bekannte, das gewoͤhn- liche Ich unſeres Bewußtſeyns, woran unmittelbar und fuͤr jeden die Wiſſenſchaft angeknuͤpft werden ſollte. Jener Akt ſollte eigentlich nichts anderes ſeyn, als die Erhe- bung auf den Standpunkt des reinen Wiſſens, auf wel- chem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/63
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/63>, abgerufen am 26.11.2024.