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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 9. Einleitung.
rale, wohl aber die naturalis ratio der Personen, Dinge und Ver-
hältnisse, oder auch überhaupt das Wollen der Gerechtigkeit, in
den Willen der Nationen eingeschlossen betrachten.

Zur letzteren Fraction gehörte bereits Samuel Rachel (1628--
1691), der unmittelbare Gegner Pufendorfs; 1 sodann Johann
Wolfgang Textor (1637--1701) mit einigen Andern. 2 Zur
Fraction der reinen Positivisten hingegen, den Männern des Her-
kommens, der Geschichte und Praxis: Cornelius van Bynkershoek
(1673--1743), 3 der Chevalier Gaspard de Real; 4 in Deutsch-
land J. J. Moser (1701--1786), der sich fast nur an äußere
Thatsachen hielt; 5 sodann beinahe die ganze neuere publicistische
Schule, nachdem Kant das Naturrecht gestürzt, das Recht von der
Ethik und Speculation getrennt und lediglich der positiven Will-
kühr überwiesen hatte. In diesem Sinn lehrte und schrieb Gr.
Friedr. v. Martens (1756--1821), der das gegenseitige Recht
der Nationen wesentlich auf Verträge und die daselbst angenomme-
nen Grundsätze baute; 6 ferner Carl Gottlob Günther (geb. 1772);
späterhin Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760--1831), Joh.
Ludwig Klüber (1762--1835), Julius Schmelzing, Carl Hein-
rich Ludwig Pölitz (1772--1834) und Carl Salomo Zachariä
(1769--1843), bei denen überall das natürliche oder philoso-
phische Völkerrecht höchstens als influenzirendes Motiv des Positi-
ven, oder auch als subsidiarisches Recht im Fall der Noth ange-
sehen wird, ohne daß man sieht, wie es zu dieser Ehre kommt,
worauf es sich stützt und ohne daß die vorgetragenen Lehren durch-
gängig als positive dargethan werden können. Als Gegner dieses
Systems ist in neuester Zeit Pinheiro Ferreira in seinen Commen-

1 Ueber ihn und seine Ansichten vgl. v. Ompteda §. 73.
2 S. ebendas. §. 74. 75.
3 Hauptschrift: Quaestionum iur. publ. Libri II. Lugd.-B. 1737 und
öfter. Vgl. v. Ompteda §. 150. Wheaton intern. Law. §. 7.
4 In seinem 1754 erschienenen Werk: La science du gouvernement. P. V.
5 Hauptschrift dieses unermüdlichen Publicisten: Versuch des N. Europ.
Völkerr. 1777--1780. X Thle. S. außerd. v. Ompteda §. 103. v. Kamptz
N. Lit. §. 35.
6 Seine Ansichten sind zuerst dargestellt in einem zu Göttingen erschienenen
Programm v. d. Existenz eines positiven Europ. Völkerrechts. 1784. Seine
Schriften in v. Kamptz N. Lit. §. 35 u. s. f.

§. 9. Einleitung.
rale, wohl aber die naturalis ratio der Perſonen, Dinge und Ver-
hältniſſe, oder auch überhaupt das Wollen der Gerechtigkeit, in
den Willen der Nationen eingeſchloſſen betrachten.

Zur letzteren Fraction gehörte bereits Samuel Rachel (1628—
1691), der unmittelbare Gegner Pufendorfs; 1 ſodann Johann
Wolfgang Textor (1637—1701) mit einigen Andern. 2 Zur
Fraction der reinen Poſitiviſten hingegen, den Männern des Her-
kommens, der Geſchichte und Praxis: Cornelius van Bynkershoek
(1673—1743), 3 der Chevalier Gaspard de Real; 4 in Deutſch-
land J. J. Moſer (1701—1786), der ſich faſt nur an äußere
Thatſachen hielt; 5 ſodann beinahe die ganze neuere publiciſtiſche
Schule, nachdem Kant das Naturrecht geſtürzt, das Recht von der
Ethik und Speculation getrennt und lediglich der poſitiven Will-
kühr überwieſen hatte. In dieſem Sinn lehrte und ſchrieb Gr.
Friedr. v. Martens (1756—1821), der das gegenſeitige Recht
der Nationen weſentlich auf Verträge und die daſelbſt angenomme-
nen Grundſätze baute; 6 ferner Carl Gottlob Günther (geb. 1772);
ſpäterhin Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831), Joh.
Ludwig Klüber (1762—1835), Julius Schmelzing, Carl Hein-
rich Ludwig Pölitz (1772—1834) und Carl Salomo Zachariä
(1769—1843), bei denen überall das natürliche oder philoſo-
phiſche Völkerrecht höchſtens als influenzirendes Motiv des Poſiti-
ven, oder auch als ſubſidiariſches Recht im Fall der Noth ange-
ſehen wird, ohne daß man ſieht, wie es zu dieſer Ehre kommt,
worauf es ſich ſtützt und ohne daß die vorgetragenen Lehren durch-
gängig als poſitive dargethan werden können. Als Gegner dieſes
Syſtems iſt in neueſter Zeit Pinheiro Ferreira in ſeinen Commen-

1 Ueber ihn und ſeine Anſichten vgl. v. Ompteda §. 73.
2 S. ebendaſ. §. 74. 75.
3 Hauptſchrift: Quaestionum iur. publ. Libri II. Lugd.-B. 1737 und
öfter. Vgl. v. Ompteda §. 150. Wheaton intern. Law. §. 7.
4 In ſeinem 1754 erſchienenen Werk: La science du gouvernement. P. V.
5 Hauptſchrift dieſes unermüdlichen Publiciſten: Verſuch des N. Europ.
Völkerr. 1777—1780. X Thle. S. außerd. v. Ompteda §. 103. v. Kamptz
N. Lit. §. 35.
6 Seine Anſichten ſind zuerſt dargeſtellt in einem zu Göttingen erſchienenen
Programm v. d. Exiſtenz eines poſitiven Europ. Völkerrechts. 1784. Seine
Schriften in v. Kamptz N. Lit. §. 35 u. ſ. f.
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[21/0045] §. 9. Einleitung. rale, wohl aber die naturalis ratio der Perſonen, Dinge und Ver- hältniſſe, oder auch überhaupt das Wollen der Gerechtigkeit, in den Willen der Nationen eingeſchloſſen betrachten. Zur letzteren Fraction gehörte bereits Samuel Rachel (1628— 1691), der unmittelbare Gegner Pufendorfs; 1 ſodann Johann Wolfgang Textor (1637—1701) mit einigen Andern. 2 Zur Fraction der reinen Poſitiviſten hingegen, den Männern des Her- kommens, der Geſchichte und Praxis: Cornelius van Bynkershoek (1673—1743), 3 der Chevalier Gaspard de Real; 4 in Deutſch- land J. J. Moſer (1701—1786), der ſich faſt nur an äußere Thatſachen hielt; 5 ſodann beinahe die ganze neuere publiciſtiſche Schule, nachdem Kant das Naturrecht geſtürzt, das Recht von der Ethik und Speculation getrennt und lediglich der poſitiven Will- kühr überwieſen hatte. In dieſem Sinn lehrte und ſchrieb Gr. Friedr. v. Martens (1756—1821), der das gegenſeitige Recht der Nationen weſentlich auf Verträge und die daſelbſt angenomme- nen Grundſätze baute; 6 ferner Carl Gottlob Günther (geb. 1772); ſpäterhin Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831), Joh. Ludwig Klüber (1762—1835), Julius Schmelzing, Carl Hein- rich Ludwig Pölitz (1772—1834) und Carl Salomo Zachariä (1769—1843), bei denen überall das natürliche oder philoſo- phiſche Völkerrecht höchſtens als influenzirendes Motiv des Poſiti- ven, oder auch als ſubſidiariſches Recht im Fall der Noth ange- ſehen wird, ohne daß man ſieht, wie es zu dieſer Ehre kommt, worauf es ſich ſtützt und ohne daß die vorgetragenen Lehren durch- gängig als poſitive dargethan werden können. Als Gegner dieſes Syſtems iſt in neueſter Zeit Pinheiro Ferreira in ſeinen Commen- 1 Ueber ihn und ſeine Anſichten vgl. v. Ompteda §. 73. 2 S. ebendaſ. §. 74. 75. 3 Hauptſchrift: Quaestionum iur. publ. Libri II. Lugd.-B. 1737 und öfter. Vgl. v. Ompteda §. 150. Wheaton intern. Law. §. 7. 4 In ſeinem 1754 erſchienenen Werk: La science du gouvernement. P. V. 5 Hauptſchrift dieſes unermüdlichen Publiciſten: Verſuch des N. Europ. Völkerr. 1777—1780. X Thle. S. außerd. v. Ompteda §. 103. v. Kamptz N. Lit. §. 35. 6 Seine Anſichten ſind zuerſt dargeſtellt in einem zu Göttingen erſchienenen Programm v. d. Exiſtenz eines poſitiven Europ. Völkerrechts. 1784. Seine Schriften in v. Kamptz N. Lit. §. 35 u. ſ. f.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/45>, abgerufen am 27.04.2024.