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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 5. Einleitung.
Recht und Unrecht ins Gedächtniß zurück; sein Werk wurde un-
vermerkt ein Europäischer von allen Confessionen gebilligter Völ-
ker-Codex. 1

Dennoch gelang es nicht das Recht auf den Thron zu heben,
welchen die Politik eingenommen hatte; sie benutzte das wissenschaft-
liche Recht mehr zur Färbung ihrer Ansprüche als sie sich demsel-
ben unterordnete; nur eine gewisse Mäßigung der Staatskunst in
ihren Erfolgen, ein sich Zufriedengeben mit billiger Ausgleichung
wird statt des strengen Rechts im vorigen Jahrhundert sichtbar
(§. 8.). Völkerrecht und Gleichgewicht erlag indeß seit dem Aus-
gang dieses Jahrhunderts dem Waldstrom der Revolution und dem
von ihr gegründeten Kaiserthum, 2 bis es der allgemeinen Coali-
tion gegen Frankreich gelang, jenen Strom in seine früheren Gren-
zen zurückzudrängen. Durch die Verträge von 1814 und 1815
wurden wenigstens die germanischen Staaten Europa's in ihrer
naturgemäßen Sonderung wiederhergestellt, und dadurch für's Erste
auch ein politisches Gleichgewicht unter den Landmächten wieder
möglich gemacht. Sofort mußten nun auch die Grundsätze des
Völkerrechts in Anwendung treten, wenn die neue Schöpfung und
das wiederhergestellte Gleichgewicht von Bestand sein sollte. 3 Bei-
nahe sämmtliche christliche Monarchen Europa's gaben sich in ih-
rer s. g. heiligen Alliance persönlich das Wort, sich und ihre Staa-
ten als Glieder einer großen christlichen Familie betrachten zu wol-
len, 4 und erkannten dadurch eine der Hauptgrundlagen des Völ-
kerrechts an; ausdrücklich erklärten endlich die Bevollmächtigten der
fünf Europäischen Großmächte am Aachner Congreß 1818 den fe-
sten Entschluß ihrer Regierungen, sich weder unter einander noch
auch gegen dritte Staaten von der strengsten Beobachtung des Völ-
kerrechts für den Zweck eines dauernden Friedenszustandes entfer-
nen zu wollen. 5


1 Treffende Bemerkungen hierüber s. in Fr. Schlegel's Vorles. über die neuere
Geschichte. Wien 1811. S. 421 f.
2 Die vielen dadurch herbeigeführten Verletzungen des Völkerrechts sind ge-
zeigt in v. Kamptz Beitr. zum Staats- u. Völkerr. I., n. 4.
3 In diesem Sinn erklärte auch der Fürst von Benevento in einer Note vom
19. Decbr. 1814 "das politische Gleichgewicht für gleichbedeutend mit den
Grundsätzen zur Erhaltung der Rechte eines Jeden und der Ruhe Aller."
4 Martens Supplem. VI, 656.
5 Martens Suppl. VIII, 560. "Les souverains ont regarde comme la

§. 5. Einleitung.
Recht und Unrecht ins Gedächtniß zurück; ſein Werk wurde un-
vermerkt ein Europäiſcher von allen Confeſſionen gebilligter Völ-
ker-Codex. 1

Dennoch gelang es nicht das Recht auf den Thron zu heben,
welchen die Politik eingenommen hatte; ſie benutzte das wiſſenſchaft-
liche Recht mehr zur Färbung ihrer Anſprüche als ſie ſich demſel-
ben unterordnete; nur eine gewiſſe Mäßigung der Staatskunſt in
ihren Erfolgen, ein ſich Zufriedengeben mit billiger Ausgleichung
wird ſtatt des ſtrengen Rechts im vorigen Jahrhundert ſichtbar
(§. 8.). Völkerrecht und Gleichgewicht erlag indeß ſeit dem Aus-
gang dieſes Jahrhunderts dem Waldſtrom der Revolution und dem
von ihr gegründeten Kaiſerthum, 2 bis es der allgemeinen Coali-
tion gegen Frankreich gelang, jenen Strom in ſeine früheren Gren-
zen zurückzudrängen. Durch die Verträge von 1814 und 1815
wurden wenigſtens die germaniſchen Staaten Europa’s in ihrer
naturgemäßen Sonderung wiederhergeſtellt, und dadurch für’s Erſte
auch ein politiſches Gleichgewicht unter den Landmächten wieder
möglich gemacht. Sofort mußten nun auch die Grundſätze des
Völkerrechts in Anwendung treten, wenn die neue Schöpfung und
das wiederhergeſtellte Gleichgewicht von Beſtand ſein ſollte. 3 Bei-
nahe ſämmtliche chriſtliche Monarchen Europa’s gaben ſich in ih-
rer ſ. g. heiligen Alliance perſönlich das Wort, ſich und ihre Staa-
ten als Glieder einer großen chriſtlichen Familie betrachten zu wol-
len, 4 und erkannten dadurch eine der Hauptgrundlagen des Völ-
kerrechts an; ausdrücklich erklärten endlich die Bevollmächtigten der
fünf Europäiſchen Großmächte am Aachner Congreß 1818 den fe-
ſten Entſchluß ihrer Regierungen, ſich weder unter einander noch
auch gegen dritte Staaten von der ſtrengſten Beobachtung des Völ-
kerrechts für den Zweck eines dauernden Friedenszuſtandes entfer-
nen zu wollen. 5


1 Treffende Bemerkungen hierüber ſ. in Fr. Schlegel’s Vorleſ. über die neuere
Geſchichte. Wien 1811. S. 421 f.
2 Die vielen dadurch herbeigeführten Verletzungen des Völkerrechts ſind ge-
zeigt in v. Kamptz Beitr. zum Staats- u. Völkerr. I., n. 4.
3 In dieſem Sinn erklärte auch der Fürſt von Benevento in einer Note vom
19. Decbr. 1814 „das politiſche Gleichgewicht für gleichbedeutend mit den
Grundſätzen zur Erhaltung der Rechte eines Jeden und der Ruhe Aller.“
4 Martens Supplem. VI, 656.
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[9/0033] §. 5. Einleitung. Recht und Unrecht ins Gedächtniß zurück; ſein Werk wurde un- vermerkt ein Europäiſcher von allen Confeſſionen gebilligter Völ- ker-Codex. 1 Dennoch gelang es nicht das Recht auf den Thron zu heben, welchen die Politik eingenommen hatte; ſie benutzte das wiſſenſchaft- liche Recht mehr zur Färbung ihrer Anſprüche als ſie ſich demſel- ben unterordnete; nur eine gewiſſe Mäßigung der Staatskunſt in ihren Erfolgen, ein ſich Zufriedengeben mit billiger Ausgleichung wird ſtatt des ſtrengen Rechts im vorigen Jahrhundert ſichtbar (§. 8.). Völkerrecht und Gleichgewicht erlag indeß ſeit dem Aus- gang dieſes Jahrhunderts dem Waldſtrom der Revolution und dem von ihr gegründeten Kaiſerthum, 2 bis es der allgemeinen Coali- tion gegen Frankreich gelang, jenen Strom in ſeine früheren Gren- zen zurückzudrängen. Durch die Verträge von 1814 und 1815 wurden wenigſtens die germaniſchen Staaten Europa’s in ihrer naturgemäßen Sonderung wiederhergeſtellt, und dadurch für’s Erſte auch ein politiſches Gleichgewicht unter den Landmächten wieder möglich gemacht. Sofort mußten nun auch die Grundſätze des Völkerrechts in Anwendung treten, wenn die neue Schöpfung und das wiederhergeſtellte Gleichgewicht von Beſtand ſein ſollte. 3 Bei- nahe ſämmtliche chriſtliche Monarchen Europa’s gaben ſich in ih- rer ſ. g. heiligen Alliance perſönlich das Wort, ſich und ihre Staa- ten als Glieder einer großen chriſtlichen Familie betrachten zu wol- len, 4 und erkannten dadurch eine der Hauptgrundlagen des Völ- kerrechts an; ausdrücklich erklärten endlich die Bevollmächtigten der fünf Europäiſchen Großmächte am Aachner Congreß 1818 den fe- ſten Entſchluß ihrer Regierungen, ſich weder unter einander noch auch gegen dritte Staaten von der ſtrengſten Beobachtung des Völ- kerrechts für den Zweck eines dauernden Friedenszuſtandes entfer- nen zu wollen. 5 1 Treffende Bemerkungen hierüber ſ. in Fr. Schlegel’s Vorleſ. über die neuere Geſchichte. Wien 1811. S. 421 f. 2 Die vielen dadurch herbeigeführten Verletzungen des Völkerrechts ſind ge- zeigt in v. Kamptz Beitr. zum Staats- u. Völkerr. I., n. 4. 3 In dieſem Sinn erklärte auch der Fürſt von Benevento in einer Note vom 19. Decbr. 1814 „das politiſche Gleichgewicht für gleichbedeutend mit den Grundſätzen zur Erhaltung der Rechte eines Jeden und der Ruhe Aller.“ 4 Martens Supplem. VI, 656. 5 Martens Suppl. VIII, 560. „Les souverains ont regardé comme la

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/33>, abgerufen am 27.11.2024.