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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 5.
Geschichtliche Genesis und Fortentwickelung des Völkerrechts. 1

5. Schon in der alten Welt finden sich gewisse übereinstim-
mende Völkergebräuche im wechselseitigen Verkehr, vornehmlich in
Betreff der Kriegführung, der Gesandtschaften, Verträge und Zu-
fluchtstätten; jedoch beruhte die Beobachtung dieser Gebräuche nicht
sowohl auf der Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit gegen an-
dere Völker, als vielmehr auf religiösen Vorstellungen und der da-
durch bestimmten Sitte. Man hielt Gesandte und Flehende für
unverletzbar, weil sie unter dem Schutz der Religion standen und
mit heiligen Symbolen erschienen; man stellte eben so die Verträge
durch Eide und feierliche Opfer unter jene Schutzmacht. An und
für sich aber hielt man sich keinem Fremden zu Recht verpflichtet;
"ewiger Krieg den Barbaren" war das Schiboleth selbst der ge-
bildetsten Nation des Alterthums, der Griechen; 2 auch ihre Phi-
losophen erkannten einen rechtlichen Zusammenhang mit anderen Völ-
kern nur auf Grund von Verträgen an. 3 Ein engeres Band und
ein dauerndes Rechtsverhältniß bestand wohl unter stammverwandten
Völkerschaften, jedoch hauptsächlich nur durch den Einfluß des ge-
meinsamen Götter-Cultus und der damit zusammenhängenden po-
litischen Bundes-Anstalten. 4

Kein höherer Standpunct zeigt sich in dem Römerreiche. 5

Will man dieses nun das Völkerrecht der alten Welt nennen,
so läßt sich nicht widersprechen; gewiß stand es auf einer sehr ge-

1 Hauptwerk, R. Ward, enquiry into the foundation and history of the
law of nations in Europe, from the time of the Grecks and Romans
to the age of H. Grotius. Lond. 1795. 2 Vols.
Dann H. Whea-
ton, histoire des progres du droit des gens depuis la Paix de West-
phalie. Leipz.
1841.
2 "Cum alienigenis, cum barbaris aeternum omnibus Graecis bellum est."
Liv.
31, 29.
3 Am deutlichsten Epicur bei Diog. L. Apopht. XXXI, 34--36. Aber
auch Plato, Aristoteles.
4 Ein s. g. koinos nomos Ellenon. Thucyd. III, 58. Vgl. Sainte-Croix
gouvernem. federatifs. Hier griff besonders der Amphictyonenbund ein,
von welchem unten noch Näheres.
5 Man denke an das: adversus hostem aeterna auctoritas esto der Zwölf-
Tafeln und an den noch im Justinianischen Recht beibehaltenen Grundsatz,
daß alle Völker, mit denen keinerlei Bündniß bestehe, hostes seien. l. 5.
§. 2. l. 24. D. de captiv. l. 118. D. de V. S.
Einleitung. §. 5.
Geſchichtliche Geneſis und Fortentwickelung des Völkerrechts. 1

5. Schon in der alten Welt finden ſich gewiſſe übereinſtim-
mende Völkergebräuche im wechſelſeitigen Verkehr, vornehmlich in
Betreff der Kriegführung, der Geſandtſchaften, Verträge und Zu-
fluchtſtätten; jedoch beruhte die Beobachtung dieſer Gebräuche nicht
ſowohl auf der Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit gegen an-
dere Völker, als vielmehr auf religiöſen Vorſtellungen und der da-
durch beſtimmten Sitte. Man hielt Geſandte und Flehende für
unverletzbar, weil ſie unter dem Schutz der Religion ſtanden und
mit heiligen Symbolen erſchienen; man ſtellte eben ſo die Verträge
durch Eide und feierliche Opfer unter jene Schutzmacht. An und
für ſich aber hielt man ſich keinem Fremden zu Recht verpflichtet;
„ewiger Krieg den Barbaren“ war das Schiboleth ſelbſt der ge-
bildetſten Nation des Alterthums, der Griechen; 2 auch ihre Phi-
loſophen erkannten einen rechtlichen Zuſammenhang mit anderen Völ-
kern nur auf Grund von Verträgen an. 3 Ein engeres Band und
ein dauerndes Rechtsverhältniß beſtand wohl unter ſtammverwandten
Völkerſchaften, jedoch hauptſächlich nur durch den Einfluß des ge-
meinſamen Götter-Cultus und der damit zuſammenhängenden po-
litiſchen Bundes-Anſtalten. 4

Kein höherer Standpunct zeigt ſich in dem Römerreiche. 5

Will man dieſes nun das Völkerrecht der alten Welt nennen,
ſo läßt ſich nicht widerſprechen; gewiß ſtand es auf einer ſehr ge-

1 Hauptwerk, R. Ward, enquiry into the foundation and history of the
law of nations in Europe, from the time of the Grecks and Romans
to the age of H. Grotius. Lond. 1795. 2 Vols.
Dann H. Whea-
ton, histoire des progrès du droit des gens depuis la Paix de West-
phalie. Leipz.
1841.
2 „Cum alienigenis, cum barbaris aeternum omnibus Graecis bellum est.“
Liv.
31, 29.
3 Am deutlichſten Epicur bei Diog. L. Apopht. XXXI, 34—36. Aber
auch Plato, Ariſtoteles.
4 Ein ſ. g. κοινὸς νόμος Ἑλλήνων. Thucyd. III, 58. Vgl. Sainte-Croix
gouvernem. fédératifs. Hier griff beſonders der Amphictyonenbund ein,
von welchem unten noch Näheres.
5 Man denke an das: adversus hostem aeterna auctoritas esto der Zwölf-
Tafeln und an den noch im Juſtinianiſchen Recht beibehaltenen Grundſatz,
daß alle Völker, mit denen keinerlei Bündniß beſtehe, hostes ſeien. l. 5.
§. 2. l. 24. D. de captiv. l. 118. D. de V. S.
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[6/0030] Einleitung. §. 5. Geſchichtliche Geneſis und Fortentwickelung des Völkerrechts. 1 5. Schon in der alten Welt finden ſich gewiſſe übereinſtim- mende Völkergebräuche im wechſelſeitigen Verkehr, vornehmlich in Betreff der Kriegführung, der Geſandtſchaften, Verträge und Zu- fluchtſtätten; jedoch beruhte die Beobachtung dieſer Gebräuche nicht ſowohl auf der Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit gegen an- dere Völker, als vielmehr auf religiöſen Vorſtellungen und der da- durch beſtimmten Sitte. Man hielt Geſandte und Flehende für unverletzbar, weil ſie unter dem Schutz der Religion ſtanden und mit heiligen Symbolen erſchienen; man ſtellte eben ſo die Verträge durch Eide und feierliche Opfer unter jene Schutzmacht. An und für ſich aber hielt man ſich keinem Fremden zu Recht verpflichtet; „ewiger Krieg den Barbaren“ war das Schiboleth ſelbſt der ge- bildetſten Nation des Alterthums, der Griechen; 2 auch ihre Phi- loſophen erkannten einen rechtlichen Zuſammenhang mit anderen Völ- kern nur auf Grund von Verträgen an. 3 Ein engeres Band und ein dauerndes Rechtsverhältniß beſtand wohl unter ſtammverwandten Völkerſchaften, jedoch hauptſächlich nur durch den Einfluß des ge- meinſamen Götter-Cultus und der damit zuſammenhängenden po- litiſchen Bundes-Anſtalten. 4 Kein höherer Standpunct zeigt ſich in dem Römerreiche. 5 Will man dieſes nun das Völkerrecht der alten Welt nennen, ſo läßt ſich nicht widerſprechen; gewiß ſtand es auf einer ſehr ge- 1 Hauptwerk, R. Ward, enquiry into the foundation and history of the law of nations in Europe, from the time of the Grecks and Romans to the age of H. Grotius. Lond. 1795. 2 Vols. Dann H. Whea- ton, histoire des progrès du droit des gens depuis la Paix de West- phalie. Leipz. 1841. 2 „Cum alienigenis, cum barbaris aeternum omnibus Graecis bellum est.“ Liv. 31, 29. 3 Am deutlichſten Epicur bei Diog. L. Apopht. XXXI, 34—36. Aber auch Plato, Ariſtoteles. 4 Ein ſ. g. κοινὸς νόμος Ἑλλήνων. Thucyd. III, 58. Vgl. Sainte-Croix gouvernem. fédératifs. Hier griff beſonders der Amphictyonenbund ein, von welchem unten noch Näheres. 5 Man denke an das: adversus hostem aeterna auctoritas esto der Zwölf- Tafeln und an den noch im Juſtinianiſchen Recht beibehaltenen Grundſatz, daß alle Völker, mit denen keinerlei Bündniß beſtehe, hostes ſeien. l. 5. §. 2. l. 24. D. de captiv. l. 118. D. de V. S.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/30>, abgerufen am 24.11.2024.