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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 148.
ist die Lage eines neutralen Landes für die eine Kriegspartei gün-
stiger als die andere, und ihre Benutzung von Seiten der Einen
wirkliche Förderung ihrer feindlichen Zwecke gegen die andere Par-
tei: so ist es gewiß auch Pflicht des Neutralen dergleichen Vergün-
stigungen nicht zu gestatten; er muß sich wenigstens mit dem anderen
Theile hierüber verständigen. 1 -- Vortheile, welche ein Kriegfüh-
render über den anderen bereits definitiv errungen hat, z. B. Beute
und Capergut, dessen Appropriation eine völkerrechtlich bereits un-
antastbare geworden ist, kann ein neutralen Staat unbedenklich
erwerben oder den Verkauf erlauben. 2 Anzufechten wäre dagegen
die Gestattung eines eigentlichen dem einen besonders vortheilhaft
gelegenen Depots zur Unterbringung solcher Gegenstände; feindlich
auch, die Annahme und Erwerbung von Eroberungen, welche erst
durch den Frieden einer legitimen Disposition des Siegers unter-
worfen werden. (§. 132.)

Ausdehnung auf die Unterthanen.

148. Durch das Vorstehende sind mit Berücksichtigung der
wichtigsten Fälle die engsten Grenzen gezogen, innerhalb deren sich
die Unparteilichkeit der neutralen Staatsgewalten halten muß. Was
diese nicht zu thun berechtigt sind, kann im Allgemeinen auch ih-
ren Unterthanen nicht gestattet werden. Inzwischen kann dadurch
die Freiheit der Einzelnen nicht so völlig beschränkt werden, als
es für die Staatsgewalt selbst, mithin auch für die Maße der Na-
tion Gesetz der Neutralität ist. Es kann daher keine Regierung,
den Fall ausdrücklicher Vertragsverbindlichkeit ausgenommen, 3 da-

1 Vgl. Moser Versuch X, S. 238. "Ganze Armeen, Corps u. dgl. durch
ein neutrales Land marschiren zu lassen, ist man nicht schuldig. Und wann
es gestattet, kann es nach den Umständen als eine Verletzung der Neutra-
lität angesehen werden. Wann einem Theil ein solcher Durchzug bewil-
ligt, dem anderen abgeschlagen wird, ist es eine offenbare Parteilichkeit.
Wann ferner von einem Durchzug nur der eine Theil Nutzen zieht, der
andere hingegen sich dessen mit Nutzen nicht bedienen kann, -- so kann
der Letztere an den neutralen Staat wohl verlangen, den Durchzug abzu-
schlagen." A. M. Galiani, doveri dei neutr. I, VIII, §. 4. und Mar-
tens Völkerr. §. 305.
2 In manchen Verträgen ist dies ausdrücklich stipulirt. Denn eine Verbind-
lichkeit zur Gestattung des Verkaufs hat der neutrale Staat nicht. Byn-
kershoeck, Quaest. I,
15. v. Steck, Handels- u. Schiffahrtsvertr. S. 176.
3 So bestehen Verträge darüber, daß man den Unterthanen nicht gestatten

Zweites Buch. §. 148.
iſt die Lage eines neutralen Landes für die eine Kriegspartei gün-
ſtiger als die andere, und ihre Benutzung von Seiten der Einen
wirkliche Förderung ihrer feindlichen Zwecke gegen die andere Par-
tei: ſo iſt es gewiß auch Pflicht des Neutralen dergleichen Vergün-
ſtigungen nicht zu geſtatten; er muß ſich wenigſtens mit dem anderen
Theile hierüber verſtändigen. 1 — Vortheile, welche ein Kriegfüh-
render über den anderen bereits definitiv errungen hat, z. B. Beute
und Capergut, deſſen Appropriation eine völkerrechtlich bereits un-
antaſtbare geworden iſt, kann ein neutralen Staat unbedenklich
erwerben oder den Verkauf erlauben. 2 Anzufechten wäre dagegen
die Geſtattung eines eigentlichen dem einen beſonders vortheilhaft
gelegenen Depots zur Unterbringung ſolcher Gegenſtände; feindlich
auch, die Annahme und Erwerbung von Eroberungen, welche erſt
durch den Frieden einer legitimen Dispoſition des Siegers unter-
worfen werden. (§. 132.)

Ausdehnung auf die Unterthanen.

148. Durch das Vorſtehende ſind mit Berückſichtigung der
wichtigſten Fälle die engſten Grenzen gezogen, innerhalb deren ſich
die Unparteilichkeit der neutralen Staatsgewalten halten muß. Was
dieſe nicht zu thun berechtigt ſind, kann im Allgemeinen auch ih-
ren Unterthanen nicht geſtattet werden. Inzwiſchen kann dadurch
die Freiheit der Einzelnen nicht ſo völlig beſchränkt werden, als
es für die Staatsgewalt ſelbſt, mithin auch für die Maße der Na-
tion Geſetz der Neutralität iſt. Es kann daher keine Regierung,
den Fall ausdrücklicher Vertragsverbindlichkeit ausgenommen, 3 da-

1 Vgl. Moſer Verſuch X, S. 238. „Ganze Armeen, Corps u. dgl. durch
ein neutrales Land marſchiren zu laſſen, iſt man nicht ſchuldig. Und wann
es geſtattet, kann es nach den Umſtänden als eine Verletzung der Neutra-
lität angeſehen werden. Wann einem Theil ein ſolcher Durchzug bewil-
ligt, dem anderen abgeſchlagen wird, iſt es eine offenbare Parteilichkeit.
Wann ferner von einem Durchzug nur der eine Theil Nutzen zieht, der
andere hingegen ſich deſſen mit Nutzen nicht bedienen kann, — ſo kann
der Letztere an den neutralen Staat wohl verlangen, den Durchzug abzu-
ſchlagen.“ A. M. Galiani, doveri dei neutr. I, VIII, §. 4. und Mar-
tens Völkerr. §. 305.
2 In manchen Verträgen iſt dies ausdrücklich ſtipulirt. Denn eine Verbind-
lichkeit zur Geſtattung des Verkaufs hat der neutrale Staat nicht. Byn-
kershoeck, Quaest. I,
15. v. Steck, Handels- u. Schiffahrtsvertr. S. 176.
3 So beſtehen Verträge darüber, daß man den Unterthanen nicht geſtatten
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[248/0272] Zweites Buch. §. 148. iſt die Lage eines neutralen Landes für die eine Kriegspartei gün- ſtiger als die andere, und ihre Benutzung von Seiten der Einen wirkliche Förderung ihrer feindlichen Zwecke gegen die andere Par- tei: ſo iſt es gewiß auch Pflicht des Neutralen dergleichen Vergün- ſtigungen nicht zu geſtatten; er muß ſich wenigſtens mit dem anderen Theile hierüber verſtändigen. 1 — Vortheile, welche ein Kriegfüh- render über den anderen bereits definitiv errungen hat, z. B. Beute und Capergut, deſſen Appropriation eine völkerrechtlich bereits un- antaſtbare geworden iſt, kann ein neutralen Staat unbedenklich erwerben oder den Verkauf erlauben. 2 Anzufechten wäre dagegen die Geſtattung eines eigentlichen dem einen beſonders vortheilhaft gelegenen Depots zur Unterbringung ſolcher Gegenſtände; feindlich auch, die Annahme und Erwerbung von Eroberungen, welche erſt durch den Frieden einer legitimen Dispoſition des Siegers unter- worfen werden. (§. 132.) Ausdehnung auf die Unterthanen. 148. Durch das Vorſtehende ſind mit Berückſichtigung der wichtigſten Fälle die engſten Grenzen gezogen, innerhalb deren ſich die Unparteilichkeit der neutralen Staatsgewalten halten muß. Was dieſe nicht zu thun berechtigt ſind, kann im Allgemeinen auch ih- ren Unterthanen nicht geſtattet werden. Inzwiſchen kann dadurch die Freiheit der Einzelnen nicht ſo völlig beſchränkt werden, als es für die Staatsgewalt ſelbſt, mithin auch für die Maße der Na- tion Geſetz der Neutralität iſt. Es kann daher keine Regierung, den Fall ausdrücklicher Vertragsverbindlichkeit ausgenommen, 3 da- 1 Vgl. Moſer Verſuch X, S. 238. „Ganze Armeen, Corps u. dgl. durch ein neutrales Land marſchiren zu laſſen, iſt man nicht ſchuldig. Und wann es geſtattet, kann es nach den Umſtänden als eine Verletzung der Neutra- lität angeſehen werden. Wann einem Theil ein ſolcher Durchzug bewil- ligt, dem anderen abgeſchlagen wird, iſt es eine offenbare Parteilichkeit. Wann ferner von einem Durchzug nur der eine Theil Nutzen zieht, der andere hingegen ſich deſſen mit Nutzen nicht bedienen kann, — ſo kann der Letztere an den neutralen Staat wohl verlangen, den Durchzug abzu- ſchlagen.“ A. M. Galiani, doveri dei neutr. I, VIII, §. 4. und Mar- tens Völkerr. §. 305. 2 In manchen Verträgen iſt dies ausdrücklich ſtipulirt. Denn eine Verbind- lichkeit zur Geſtattung des Verkaufs hat der neutrale Staat nicht. Byn- kershoeck, Quaest. I, 15. v. Steck, Handels- u. Schiffahrtsvertr. S. 176. 3 So beſtehen Verträge darüber, daß man den Unterthanen nicht geſtatten

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/272>, abgerufen am 27.11.2024.