Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. §. 128.
den, von drückenden persönlichen Belästigungen befreit. Ebenso
gestattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere
Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Auf-
sicht gehalten und zu angemessenen Arbeiten gebraucht, um einen
Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat in dessen
Gewalt sie sich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Erstattung
oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich ist der
Gefangene während der Dauer der Gefangenschaft der Gerichts-
barkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbesondere der
Strafgerichtsbarkeit wegen der daselbst von ihm begangenen Ver-
brechen. Eine willkührliche Behandlung durch Mißhandlung und
Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Noth-
wendigkeit des Krieges; nur wenn die Gefangenen selbst die ge-
setzten Beschränkungen überschreiten oder den auswärtigen Staat
auf gefährliche Weise bedrohen, finden Zuchtmittel und strengere
Reactionen gegen sie Anwendung; nicht aber sollten an ihnen,
wegen der von ihnen selbst nicht verschuldeten Thatsachen Repres-
salien an ihrer Person gebraucht werden, obgleich dies sonst als
Kriegsräson in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt,
oder wenigstens gedroht worden ist. 1 Zwang zum Eintritt in
feindliche Militärverhältnisse ist unerlaubt.

Geendet wird die Kriegsgefangenschaft:

mit dem Frieden;
durch freiwillige Unterwerfung unter den sie annehmenden
feindlichen Staat;
durch bedingte oder unbedingte Loslassung;
durch Selbstranzionirung.

Geräth ein Selbstranzionirter von Neuem in Feindesgewalt,
so wird dies ungeahndet gelassen; denn der Gefangene hat nur
dem natürlichen Triebe zur Freiheit und zum Vaterlande Folge ge-
geben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer gestellten Bedin-
gung der Loslassung z. B. nicht mehr gegen den andern Staat
dienen zu wollen, berechtigt zu einer entsprechenden Ahndung durch
eine schlimmere als die sonst gewöhnliche Behandlung.


1 Vgl. Vattel §. 142. Merkwürdige Bestimmungen über Behandlung von
Kriegsgefangenen finden sich im Preußisch Nordamericanischen Vertrage von
1799. Art. 24.

Zweites Buch. §. 128.
den, von drückenden perſönlichen Beläſtigungen befreit. Ebenſo
geſtattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere
Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Auf-
ſicht gehalten und zu angemeſſenen Arbeiten gebraucht, um einen
Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat in deſſen
Gewalt ſie ſich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Erſtattung
oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich iſt der
Gefangene waͤhrend der Dauer der Gefangenſchaft der Gerichts-
barkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbeſondere der
Strafgerichtsbarkeit wegen der daſelbſt von ihm begangenen Ver-
brechen. Eine willkührliche Behandlung durch Mißhandlung und
Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Noth-
wendigkeit des Krieges; nur wenn die Gefangenen ſelbſt die ge-
ſetzten Beſchränkungen überſchreiten oder den auswärtigen Staat
auf gefährliche Weiſe bedrohen, finden Zuchtmittel und ſtrengere
Reactionen gegen ſie Anwendung; nicht aber ſollten an ihnen,
wegen der von ihnen ſelbſt nicht verſchuldeten Thatſachen Repreſ-
ſalien an ihrer Perſon gebraucht werden, obgleich dies ſonſt als
Kriegsräſon in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt,
oder wenigſtens gedroht worden iſt. 1 Zwang zum Eintritt in
feindliche Militärverhältniſſe iſt unerlaubt.

Geendet wird die Kriegsgefangenſchaft:

mit dem Frieden;
durch freiwillige Unterwerfung unter den ſie annehmenden
feindlichen Staat;
durch bedingte oder unbedingte Loslaſſung;
durch Selbſtranzionirung.

Geräth ein Selbſtranzionirter von Neuem in Feindesgewalt,
ſo wird dies ungeahndet gelaſſen; denn der Gefangene hat nur
dem natürlichen Triebe zur Freiheit und zum Vaterlande Folge ge-
geben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer geſtellten Bedin-
gung der Loslaſſung z. B. nicht mehr gegen den andern Staat
dienen zu wollen, berechtigt zu einer entſprechenden Ahndung durch
eine ſchlimmere als die ſonſt gewöhnliche Behandlung.


1 Vgl. Vattel §. 142. Merkwürdige Beſtimmungen über Behandlung von
Kriegsgefangenen finden ſich im Preußiſch Nordamericaniſchen Vertrage von
1799. Art. 24.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0240" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch</hi>. §. 128.</fw><lb/>
den, von drückenden per&#x017F;önlichen Belä&#x017F;tigungen befreit. Eben&#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;tattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere<lb/>
Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Auf-<lb/>
&#x017F;icht gehalten und zu angeme&#x017F;&#x017F;enen Arbeiten gebraucht, um einen<lb/>
Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat in de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Gewalt &#x017F;ie &#x017F;ich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Er&#x017F;tattung<lb/>
oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich i&#x017F;t der<lb/>
Gefangene wa&#x0364;hrend der Dauer der Gefangen&#x017F;chaft der Gerichts-<lb/>
barkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbe&#x017F;ondere der<lb/>
Strafgerichtsbarkeit wegen der da&#x017F;elb&#x017F;t von ihm begangenen Ver-<lb/>
brechen. Eine willkührliche Behandlung durch Mißhandlung und<lb/>
Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Noth-<lb/>
wendigkeit des Krieges; nur wenn die Gefangenen &#x017F;elb&#x017F;t die ge-<lb/>
&#x017F;etzten Be&#x017F;chränkungen über&#x017F;chreiten oder den auswärtigen Staat<lb/>
auf gefährliche Wei&#x017F;e bedrohen, finden Zuchtmittel und &#x017F;trengere<lb/>
Reactionen gegen &#x017F;ie Anwendung; nicht aber &#x017F;ollten an ihnen,<lb/>
wegen der von ihnen &#x017F;elb&#x017F;t nicht ver&#x017F;chuldeten That&#x017F;achen Repre&#x017F;-<lb/>
&#x017F;alien an ihrer Per&#x017F;on gebraucht werden, obgleich dies &#x017F;on&#x017F;t als<lb/>
Kriegsrä&#x017F;on in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt,<lb/>
oder wenig&#x017F;tens gedroht worden i&#x017F;t. <note place="foot" n="1">Vgl. Vattel §. 142. Merkwürdige Be&#x017F;timmungen über Behandlung von<lb/>
Kriegsgefangenen finden &#x017F;ich im Preußi&#x017F;ch Nordamericani&#x017F;chen Vertrage von<lb/>
1799. Art. 24.</note> Zwang zum Eintritt in<lb/>
feindliche Militärverhältni&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t unerlaubt.</p><lb/>
            <p>Geendet wird die Kriegsgefangen&#x017F;chaft:</p><lb/>
            <list>
              <item>mit dem Frieden;</item><lb/>
              <item>durch freiwillige Unterwerfung unter den &#x017F;ie annehmenden<lb/>
feindlichen Staat;</item><lb/>
              <item>durch bedingte oder unbedingte Losla&#x017F;&#x017F;ung;</item><lb/>
              <item>durch Selb&#x017F;tranzionirung.</item>
            </list><lb/>
            <p>Geräth ein Selb&#x017F;tranzionirter von Neuem in Feindesgewalt,<lb/>
&#x017F;o wird dies ungeahndet gela&#x017F;&#x017F;en; denn der Gefangene hat nur<lb/>
dem natürlichen Triebe zur Freiheit und zum Vaterlande Folge ge-<lb/>
geben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer ge&#x017F;tellten Bedin-<lb/>
gung der Losla&#x017F;&#x017F;ung z. B. nicht mehr gegen den andern Staat<lb/>
dienen zu wollen, berechtigt zu einer ent&#x017F;prechenden Ahndung durch<lb/>
eine &#x017F;chlimmere als die &#x017F;on&#x017F;t gewöhnliche Behandlung.</p>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0240] Zweites Buch. §. 128. den, von drückenden perſönlichen Beläſtigungen befreit. Ebenſo geſtattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Auf- ſicht gehalten und zu angemeſſenen Arbeiten gebraucht, um einen Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat in deſſen Gewalt ſie ſich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Erſtattung oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich iſt der Gefangene waͤhrend der Dauer der Gefangenſchaft der Gerichts- barkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbeſondere der Strafgerichtsbarkeit wegen der daſelbſt von ihm begangenen Ver- brechen. Eine willkührliche Behandlung durch Mißhandlung und Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Noth- wendigkeit des Krieges; nur wenn die Gefangenen ſelbſt die ge- ſetzten Beſchränkungen überſchreiten oder den auswärtigen Staat auf gefährliche Weiſe bedrohen, finden Zuchtmittel und ſtrengere Reactionen gegen ſie Anwendung; nicht aber ſollten an ihnen, wegen der von ihnen ſelbſt nicht verſchuldeten Thatſachen Repreſ- ſalien an ihrer Perſon gebraucht werden, obgleich dies ſonſt als Kriegsräſon in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt, oder wenigſtens gedroht worden iſt. 1 Zwang zum Eintritt in feindliche Militärverhältniſſe iſt unerlaubt. Geendet wird die Kriegsgefangenſchaft: mit dem Frieden; durch freiwillige Unterwerfung unter den ſie annehmenden feindlichen Staat; durch bedingte oder unbedingte Loslaſſung; durch Selbſtranzionirung. Geräth ein Selbſtranzionirter von Neuem in Feindesgewalt, ſo wird dies ungeahndet gelaſſen; denn der Gefangene hat nur dem natürlichen Triebe zur Freiheit und zum Vaterlande Folge ge- geben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer geſtellten Bedin- gung der Loslaſſung z. B. nicht mehr gegen den andern Staat dienen zu wollen, berechtigt zu einer entſprechenden Ahndung durch eine ſchlimmere als die ſonſt gewöhnliche Behandlung. 1 Vgl. Vattel §. 142. Merkwürdige Beſtimmungen über Behandlung von Kriegsgefangenen finden ſich im Preußiſch Nordamericaniſchen Vertrage von 1799. Art. 24.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/240
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/240>, abgerufen am 21.11.2024.