Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.§. 113. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens. äußersten Gewaltthätigkeiten gegen Einander erlaubt hält. Diesist jedoch bloß eine thatsächliche Erklärung. Ein Rechtsbegriff wird der Krieg erst, wenn man sich ihn als Anwendung des äu- ßersten selbst vernichtenden Zwanges wider einen Andern denkt, zur Realisirung rechtlicher Zwecke bis zur Erreichung derselben. Er ist mit anderen Worten die äußerste Selbsthilfe. Wie diese ist er daher entweder ein Vertheidigungskrieg zur Abwehrung eines ungerechten Angriffs, womit man bedroht wird, ohne daß man selbst den Angriff erst abzuwarten hat, wenn nur eine wirkliche Kriegsgefahr von Seiten des Andern droht, 1 oder er ist ein An- griffskrieg, wegen schon erlittener Rechtsverletzung und zum Zweck der Genugthuung. Eben dadurch wird sofort auch die Gerechtig- keit eines Krieges bestimmt. Er ist nur gerecht, wann und so weit Selbsthilfe erlaubt ist, 2 wiewohl auch der ungerechte Krieg in seinen Wirkungen dem gerechten thatsächlich gleichsteht. 3 Denn es giebt keinen irdischen Richter, von welchem ein Ausspruch über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges mit Unfehlbarkeit zu erwarten wäre; Zufälligkeiten würfeln ihn oft zusammen und machen ihn meist zu einem Spiel, dessen Schwankungen nie zuvor zu berechnen sind; er setzt ein Chaos an die Stelle der Ordnung, aus welchem diese erst wieder neu erstehen muß. Gewiß aber wer- den die moralischen Nachwirkungen des ungerechten Krieges an- dere sein, als die des gerechten, und niemals werden bloße Gründe des politischen Nutzens oder moralisch gute Zwecke ohne das Da- sein einer bevorstehenden oder schon zugefügten Rechtsverletzung schichte des Krieges s. bei v. Clausewitz, vom Kriege. Berl. 1832. I, S. 105. 1 S. schon oben S. 51. Not. 3. und Guiel. Schooten, de iure hostem imminentem praeveniendi. Specim. iurid. L. Bat. 1. 2 S. oben §. 106. Friedrich der Große erklärte in s. Antimacchiavell, Cap. 26. toutes les guerres qui n'auront pour but que de repousser des usur- pateurs, de maintenir des droits legitimes, de garantir la liberte de l'univers et d'eviter les violences et les oppressions des ambi- tieux, als conformes a la justice. 3 Dies wird von Allen anerkannt, auch von denen, welche mit Aengstlich- keit die Gründe gerechter Kriege zu bestimmen gesucht haben, und eine rechtliche Verantwortlichkeit dessen behaupten, der einen ungerechten Krieg führt, wie z. B. von Groot und von Vattel III, §. 183 f. 190. Wie un- begründet gerade hier die Unterscheidung eines natürlichen und willkühr- lichen Rechts sei, erkannte schon Cocceji zu Groot III, 10, 3 f. 13*
§. 113. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. äußerſten Gewaltthätigkeiten gegen Einander erlaubt hält. Diesiſt jedoch bloß eine thatſächliche Erklärung. Ein Rechtsbegriff wird der Krieg erſt, wenn man ſich ihn als Anwendung des äu- ßerſten ſelbſt vernichtenden Zwanges wider einen Andern denkt, zur Realiſirung rechtlicher Zwecke bis zur Erreichung derſelben. Er iſt mit anderen Worten die äußerſte Selbſthilfe. Wie dieſe iſt er daher entweder ein Vertheidigungskrieg zur Abwehrung eines ungerechten Angriffs, womit man bedroht wird, ohne daß man ſelbſt den Angriff erſt abzuwarten hat, wenn nur eine wirkliche Kriegsgefahr von Seiten des Andern droht, 1 oder er iſt ein An- griffskrieg, wegen ſchon erlittener Rechtsverletzung und zum Zweck der Genugthuung. Eben dadurch wird ſofort auch die Gerechtig- keit eines Krieges beſtimmt. Er iſt nur gerecht, wann und ſo weit Selbſthilfe erlaubt iſt, 2 wiewohl auch der ungerechte Krieg in ſeinen Wirkungen dem gerechten thatſächlich gleichſteht. 3 Denn es giebt keinen irdiſchen Richter, von welchem ein Ausſpruch über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges mit Unfehlbarkeit zu erwarten wäre; Zufälligkeiten würfeln ihn oft zuſammen und machen ihn meiſt zu einem Spiel, deſſen Schwankungen nie zuvor zu berechnen ſind; er ſetzt ein Chaos an die Stelle der Ordnung, aus welchem dieſe erſt wieder neu erſtehen muß. Gewiß aber wer- den die moraliſchen Nachwirkungen des ungerechten Krieges an- dere ſein, als die des gerechten, und niemals werden bloße Gründe des politiſchen Nutzens oder moraliſch gute Zwecke ohne das Da- ſein einer bevorſtehenden oder ſchon zugefügten Rechtsverletzung ſchichte des Krieges ſ. bei v. Clauſewitz, vom Kriege. Berl. 1832. I, S. 105. 1 S. ſchon oben S. 51. Not. 3. und Guiel. Schooten, de iure hostem imminentem praeveniendi. Specim. iurid. L. Bat. 1. 2 S. oben §. 106. Friedrich der Große erklärte in ſ. Antimacchiavell, Cap. 26. toutes les guerres qui n’auront pour but que de repousser des usur- pateurs, de maintenir des droits légitimes, de garantir la liberté de l’univers et d’éviter les violences et les oppressions des ambi- tieux, als conformes à la justice. 3 Dies wird von Allen anerkannt, auch von denen, welche mit Aengſtlich- keit die Gründe gerechter Kriege zu beſtimmen geſucht haben, und eine rechtliche Verantwortlichkeit deſſen behaupten, der einen ungerechten Krieg führt, wie z. B. von Groot und von Vattel III, §. 183 f. 190. Wie un- begründet gerade hier die Unterſcheidung eines natürlichen und willkühr- lichen Rechts ſei, erkannte ſchon Cocceji zu Groot III, 10, 3 f. 13*
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§. 113. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
äußerſten Gewaltthätigkeiten gegen Einander erlaubt hält. Dies
iſt jedoch bloß eine thatſächliche Erklärung. Ein Rechtsbegriff
wird der Krieg erſt, wenn man ſich ihn als Anwendung des äu-
ßerſten ſelbſt vernichtenden Zwanges wider einen Andern denkt,
zur Realiſirung rechtlicher Zwecke bis zur Erreichung derſelben.
Er iſt mit anderen Worten die äußerſte Selbſthilfe. Wie dieſe iſt
er daher entweder ein Vertheidigungskrieg zur Abwehrung eines
ungerechten Angriffs, womit man bedroht wird, ohne daß man
ſelbſt den Angriff erſt abzuwarten hat, wenn nur eine wirkliche
Kriegsgefahr von Seiten des Andern droht, 1 oder er iſt ein An-
griffskrieg, wegen ſchon erlittener Rechtsverletzung und zum Zweck
der Genugthuung. Eben dadurch wird ſofort auch die Gerechtig-
keit eines Krieges beſtimmt. Er iſt nur gerecht, wann und ſo
weit Selbſthilfe erlaubt iſt, 2 wiewohl auch der ungerechte Krieg
in ſeinen Wirkungen dem gerechten thatſächlich gleichſteht. 3 Denn
es giebt keinen irdiſchen Richter, von welchem ein Ausſpruch über
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges mit Unfehlbarkeit
zu erwarten wäre; Zufälligkeiten würfeln ihn oft zuſammen und
machen ihn meiſt zu einem Spiel, deſſen Schwankungen nie zuvor
zu berechnen ſind; er ſetzt ein Chaos an die Stelle der Ordnung,
aus welchem dieſe erſt wieder neu erſtehen muß. Gewiß aber wer-
den die moraliſchen Nachwirkungen des ungerechten Krieges an-
dere ſein, als die des gerechten, und niemals werden bloße Gründe
des politiſchen Nutzens oder moraliſch gute Zwecke ohne das Da-
ſein einer bevorſtehenden oder ſchon zugefügten Rechtsverletzung
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1 S. ſchon oben S. 51. Not. 3. und Guiel. Schooten, de iure hostem
imminentem praeveniendi. Specim. iurid. L. Bat. 1.
2 S. oben §. 106. Friedrich der Große erklärte in ſ. Antimacchiavell, Cap.
26. toutes les guerres qui n’auront pour but que de repousser des usur-
pateurs, de maintenir des droits légitimes, de garantir la liberté
de l’univers et d’éviter les violences et les oppressions des ambi-
tieux, als conformes à la justice.
3 Dies wird von Allen anerkannt, auch von denen, welche mit Aengſtlich-
keit die Gründe gerechter Kriege zu beſtimmen geſucht haben, und eine
rechtliche Verantwortlichkeit deſſen behaupten, der einen ungerechten Krieg
führt, wie z. B. von Groot und von Vattel III, §. 183 f. 190. Wie un-
begründet gerade hier die Unterſcheidung eines natürlichen und willkühr-
lichen Rechts ſei, erkannte ſchon Cocceji zu Groot III, 10, 3 f.
2 ſchichte des Krieges ſ. bei v. Clauſewitz, vom Kriege. Berl. 1832. I,
S. 105.
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